Bedingungslose Grundsicherung am Beispiel Friedrich Schiller
Schiller lebte von 1759-1805, hauptsächlich als Dichter, dem wir z.B. die Ode „an die Freude“ zu verdanken haben, die in Beethovens Vertonung zur Hymne für ein Europa wurde, das noch dem Ideal von Menschlichkeit folgen wollte, bevor Deutschland mit der Hartz-IV-Politik die Menschlichkeit über Bord warf und als wirtschaftsstärkste Nation ganz Europa davon abbrachte. Das Regierungsmotto „Keine Leistung ohne Gegenleistung“, abgeleitet vom Grundsatz der „Konditionalität“, der beim Internationalen Währungsfonds von Seiten der USA erzwungen wurde, bedeutet die Abkehr von Menschlichkeit und Menschenrechten und hat zu einem Kurs in Richtung Krieg und Zerfall geführt.
Friedrich Schiller wurde als Sohn eines gering besoldeten Militärarztes mit
14 Jahren auf Befehl des Herzogs von Württemberg in die Militärakademie
von Stuttgart gezwungen. Dort brach er ein Jurastudium ab und studierte dann mit
17 Medizin. Obwohl Besitz und Beschäftigung mit schöngeistiger
Literatur in der Militärakademie verboten war, las er heimlich Shakespeare,
Rousseau, Lessing u.a. und begann, selbst zu schreiben. Mit 22
Jahren arbeitete er als Militärarzt bei ebenso dürftigem Sold wie
sein Vater. Als er ohne Erlaubnis zur Uraufführung seines ersten
Bühnenstückes „Die Räuber“ ins damalige Ausland nach
Mannheim fuhr, reagierte der Herzog von Württemberg, der sich in Stuttgart
drei Schlösser hat bauen lassen, mit einer Sanktion von 14 Tagen Haft und
einem Veröffentlichungsverbot. Die Folge: Schiller floh 1782 aus der
Garnison und hatte das Glück, nicht im Europa von heute zu leben, wo er
über die Grenzen verfolgt worden wäre, sondern bereits im damaligen
Sachsen Asyl finden zu können, nachdem er zunächst unter falschem Namen
unterwegs sein musste.
1789 bekam Schiller auf Vermittlung des 10 Jahre älteren Goethe eine Stelle
als Professor für Geschichte an der heute nach ihm benannten
Universität in Jena, jedoch ohne Bezahlung. Schiller konnte nicht heiraten,
weil er keinen sicheren Lebensunterhalt hatte. Erst als der Herzog von
Sachsen-Meiningen, wohin Schiller vor dem Württembergischen Herzog 1782
geflohen war, ihm 1790 den Titel eines Hofrats verliehen, und der Herzog von
Sachsen-Weimar ihm ein Gehalt von 200 Talern pro Jahr zugesagt hatte (was der bis
1810 zurückreichenden Tabelle „Kaufkraftäquivalente historischer
Beträge“ auf der Internetseite der Bundesbank zufolge ca. 7.820 €
Kaufkraft 2015 entspricht und damit auf Hartz-IV-Niveau für eine Person
liegt), durfte Schiller seine adelige Verlobte heiraten. Er schrieb Tag und Nacht
an Werken, die er für Geld veröffentlichen konnte, um sich und seiner
Familie den Lebensunterhalt zu sichern, wie auf der Internetseite des
Schiller-Instituts zu lesen ist. Bereits im folgenden Jahr 1791 erkrankte
Schiller an der Lunge so schwer, dass Gerüchte von seinem Tod bis nach
Dänemark drangen.
Dort hatte er begeisterte Anhänger, insbesondere aufgrund seines 1787 in
Hamburg uraufgeführten Stückes „Don Carlos“, in dem
Schiller gegenüber den Herrschenden vehement für Freiheitsrechte,
Menschenwürde und Menschenglück eintrat ("Wenn nun der Mensch, sich
selbst zurückgegeben, zu seines Werths Gefühl erwacht - der Freiheit
erhabne, stolze Tugenden erwachen - dann, Sire, wenn Sie zum glücklichsten
der Welt ihr eignes Königreich gemacht - dann ist es Ihre Pflicht, die Welt
zu unterwerfen." 3. Akt, 10. Aufzug). Als sie in Dänemark von Schillers
misslicher Lage hörten, entschieden sich der Schwager des dänischen
Königs Friedrich VI und auf seine Veranlassung auch der Finanzminister,
beide Mitglieder des dänischen Staatsrates, dazu, Schiller zu
unterstützen, obwohl er kein Däne war, und ihn wenn möglich nach
Dänemark zu holen, da Deutschland ihn offenbar nicht genügend zu
schätzen wusste.
Am 27. November 1791 also schrieben dieser Prinz Friedrich Christian II und Graf Schimmelmann einen Brief an Schiller, in dem es u.a. heißt [Hervorhebungen in Fettdruck und Bemerkungen in eckigen Klammern sind den Zitaten hinzugefügt]:
„Ihre durch allzu häufige Anstrengung und Arbeit
zerrüttete Gesundheit bedarf, so sagt man uns, für einige Zeit einer
großen Ruhe, wenn sie wiederhergestellt und die Ihrem Leben drohende Gefahr
abgewendet werden soll. Allein Ihre Verhältnisse Ihre
Glücksumstände verhindern Sie, sich dieser Ruhe zu überlassen.
Wollten Sie uns wohl die Freude gönnen, Ihnen den Genuß derselben zu
erleichtern? Wir bieten Ihnen zu dem Ende auf drei Jahre ein
jährliches Geschenk von tausend Talern.“ [ca. 40.000 €
pro Jahr als Geschenk, an keine Bedingungen geknüpft]
„Nehmen Sie dieses Anerbieten an, edler Mann! Der Anblick
unserer Titel bewege Sie nicht abzulehnen … Wir kennen keinen
Stolz als nur den, Menschen zu sein [bedingungslose Grundsicherung somit
als Geste purer Menschlichkeit], Bürger in der großen
Republik, deren Grenzen mehr als das Leben einzelner Generationen, mehr als die
Grenzen eines Erdballs umfassen. [Menschlichkeit und
Menschenrechte sind nicht zu trennen von dem Begriff des Weltbürgertums, da
sie keine geographischen Grenzen kennen]
Sie haben hier nur Menschen, Ihre Brüder vor sich, nicht
eitle Große, die durch einen solchen Gebrauch ihrer Reichtümer nur
einer etwas edleren Art von Hochmut fröhnen.
Es wird von Ihnen abhängen, wo Sie diese Ruhe genießen wollen. Hier
bei uns würde es Ihnen nicht an Befriedigung für die Bedürfnisse
Ihres Geistes fehlen … Hochachtung und Freundschaft würden von
mehreren Seiten wetteifern Ihnen den Aufenthalt in Dänemark angenehm zu
machen … Doch wir sind nicht so kleineigennützig, diese
Veränderung Ihres Aufenthaltes zu einer Bedingung zu
machen. Wir überlassen dies Ihrer freien Wahl.“ [d.h. keine
Abhängigkeit durch die Annahme der bedingungslosen Grundsicherung, somit
Förderung ohne Forderung]
Das also war das Angebot einer bedingungslosen Grundsicherung in existenzsichernder Höhe.
Schiller reagierte zunächst am 16. Dezember 1791 mit einem Brief an den dänischen Dichter Jens Baggesen, der maßgeblichen Anteil an der Unterstützungsaktion hatte:
„Ja, mein teurer Freund, ich nehme das Anerbieten des
Prinzen von H. und des Grafen S. mit dankbarem Herzen an …
Dasjenige zu leisten und zu sein, was ich nach dem mir gefallenden
Maß von Kräften leisten und sein kann, ist mir die höchste und
unerläßlichste aller Pflichten. Aber meine bisherige äußere
Lage machte mir dies schlechterdings unmöglich, und nur eine ferne,
noch unsichre, Zukunft macht mir bessre Hoffnungen. [fehlende
Grundsicherung hatte also verhindert, dass Schiller seinem inneren
Pflichtgefühl folgen konnte] Der
großmütige Beistand Ihrer erhabenen Freunde setzt mich auf einmal in
die Lage, so viel aus mir zu entwickeln als in mir liegt, mich zu dem zu
machen, was aus mir werden kann [d.h. bedingungslose Grundsicherung
ermöglicht die Entfaltung der Persönlichkeit und führt zu
größtmöglicher Schaffenskraft] – wo bliebe
mir also noch eine Wahl übrig? Daß der vortreffliche Prinz, der sich
aus freien Stücken entschließt, dasjenige bei mir zu verbessern, was
mir das Schicksal zu wünschen übrig gelassen hat, durch die edle Art,
womit er diese Sache behandelt, zugleich alle Empfindlichkeiten schont, die mir
meinen Entschluß hätten schwer machen können, daß er diese
wichtige Verbesserung meiner Umstände durch keinen Kampf mit mir selbst
erkaufen läßt, erhöht meine Dankbarkeit
unendlich.“ [d.h. die Grundsicherung muss
bedingungslos sein um die Würde des Empfängers zu schützen, was
heute Art. 1 GG zwar aller staatlichen Gewalt aufgibt, bislang aber nicht
erfüllt wurde]
„Von der Wiege meines Geistes an bis jetzt, da ich dieses
schreibe, habe ich mit dem Schicksal gekämpft, und seitdem ich die Freiheit
des Geistes zu schätzen weiß, war ich dazu verurteilt, sie zu
entbehren … Unreif und tief unter dem Ideale, das in mir lebendig
war, sah ich jetzt alles, was ich zur Welt brachte; bei aller geahndeten
möglichen Unvollkommenheit mußte ich mit der unzeitigen Frucht vor die
Augen des Publikums eilen, der Lehre selbst so bedürftig, mich wider meinen
Willen zum Lehrer der Menschen aufwerfen. Jedes, unter so
ungünstigen Umständen nur leidlich gelungene Produkt ließ mich
nur desto empfindlicher fühlen, wie viele Keime das Schicksal in mir
unterdrückte. [d.h. bedingungslose Grundsicherung
ermöglicht bessere Qualität] … Was hätte
ich nicht um zwei oder drei stille Jahre gegeben, die ich frei von
schriftstellerischer Arbeit bloß allein dem Studieren, bloß der
Ausbildung meiner Begriffe, der Zeitigung meiner Ideale hätte widmen
können! [Erwerbsdruck verhindert die Verwirklichung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 GG und schadet dem
Allgemeinwohl]
Zugleich die strengen Forderungen der Kunst zu befriedigen und seinem
schriftstellerischen Fleiß auch nur die notwendige Unterstützung zu
verschaffen, ist in unsrer deutschen literarischen Welt, wie ich endlich
weiß, unvereinbar. Zehen Jahre habe ich mich angestrengt, beides zu
vereinigen, aber es nur einigermaßen möglich zu machen, kostete mir
meine Gesundheit … So fanden mich die Briefe, die ich aus
Dänemark erhielt. [Erwerbszwang ist - jedenfalls in der
Kunst - mit Qualität nicht vereinbar, zerreißt die Menschen und
schadet ihrer Gesundheit]
Verzeihen Sie mir, teurer Freund, diese Ausführlichkeit über mich
selbst; ich will Sie dadurch nur in den Stand setzen, sich selbst den Eindruck zu
denken, den der edelmütige Antrag des Prinzen und des Grafen S. auf mich
gemacht hat. Ich sehe mich dadurch auf einmal fähig gemacht, den Plan in mir
selbst zu realisieren, den sich meine Phantasie in ihren glücklichsten
Stunden vorgezeichnet hat. Ich erhalte endlich die so lange und so
heiß gewünschte Freiheit des Geistes, die vollkommen freie Wahl meiner
Wirksamkeit [die Grundrechte aus Art. 2 und 12
GG]. Ich gewinne Muße, und durch sie werde ich meine
verlorene Gesundheit vielleicht wieder gewinnen; wenn auch nicht, so wird
künftig Trübsinn des Geistes meiner Krankheit nicht mehr neue Nahrung
geben. Ich sehe heiter in die Zukunft.“
[d.h. Bedingungslose Grundsicherung fördert die Gesundheit
und liegt damit im Interesse des Allgemeinwohles]
Am 19.12.1791 antwortete Schiller seinen beiden Gönnern direkt. In seinem Brief heißt es:
„Zu einer Zeit, wo die Überreste einer angreifenden
Krankheit meine Seele umwölkten und mich mit einer finstern traurigen
Zukunft schreckten, reichen Sie mir, wie zwei schützende Genien, die Hand
aus den Wolken. Das großmütige Anerbieten, das Sie mir tun,
erfüllt, ja übertrifft meine kühnsten Wünsche. Die
Art mit der Sie es tun, befreit mich von der Furcht, mich Ihrer Güte unwert
zu zeigen, indem ich diesen Beweis davon annehme. … Rein und
edel, wie Sie geben, glaube ich, empfangen zu können. … Nicht
an Sie, sondern an die Menschheit habe ich meine Schuld abzutragen. Diese ist der
gemeinschaftliche Altar, wo Sie Ihr Geschenk und ich meinen Dank
niederlege.“
[d.h. für eine Gabe der Menschlichkeit schuldet der
Empfänger nicht dem Geber, sondern der Menschlichkeit Dank, gleichwohl wird
seine Dankbarkeit auch den Empfänger erreichen]
Zitatquelle: www.schiller-institut.de, Tom
Gillesberg, Februar 2004
Die bedingungslose Grundsicherung aus Dänemark wurde Schiller fünf
Jahre lang zur Verfügung gestellt. Der Zug war aber sozusagen schon
abgefahren, und eine Wirkung, wie sie eine von Anfang an gegebene Grundsicherung
gehabt hätte, war durch eine Absicherung im Alter von 32 Jahren nicht
nachholbar.
Schiller, von dessen Bühnenstücken 8 als Opern vertont wurden,
entwickelte zwar den Höhepunkt seiner Schaffenskraft, auch in der
Zusammenarbeit mit Goethe, doch seine Gesundheit konnte nicht voll
wiederhergestellt werden; er erreichte nur das 46. Lebensjahr. So blieb
einerseits vieles ungetan, was sein Genius hätte hinterlassen können,
andererseits geht die Klarheit seiner Botschaft heute in der Vielzahl seiner
unter Erwerbsdruck geschriebenen Werke unter - wie praktisch, denn sein Anliegen
waren Menschenrechte und Menschlichkeit zur Vermeidung von
Bürgerkriegen.
An den Prinzen in Dänemark schrieb Schiller am 5. Februar 1796:
„Die Schritte, welche ich in den letzten Jahren zu dem
Ziele getan habe, das vor meiner Seele steht, sind schneller und wichtiger
gewesen, als alle, die ich vorher dazu habe machen können, und wem sonst als
Ihnen, Vortrefflichster, und Ihrem edlen Freunde danke ich dieses
Glück.“
Und in seinem Brief vom 20. Januar 1795 an denselben kann man lesen: „Wie würde ich das Geschick meiner deutschen Mitbürger preisen, wenn es überall einer solchen Fürstenhand anvertraut wäre, und mit welcher Sicherheit könnte man sich alsdann für die Erfüllung aller der Volksglückseligkeit verbürgen, welche bis jetzt leider nur eine Idee der Philosophen und eine Phantasie der Dichter gewesen ist.“
Heute sind nicht mehr Fürsten an der Macht, sondern – man darf rätseln, wer eigentlich heute dem Volk seine Rechte vorenthält und zuständig wäre, dies zu ändern.
In seinem 3. Brief „Über die ästhetische Erziehung des Menschen
in einer Reihe von Briefen“ schrieb Schiller 1793:
Um der Würde des
Menschen willen darf seine Existenz nicht in Gefahr geraten.