Verfassungsbeschwerde gegen Hartz IV-Sanktionen

Im August 2009 hat sich gegen Hartz IV ein namhaftes 'Bündnis für ein Sanktionsmoratorium' zusammengefunden, das zur sofortigen Aussetzung des Sanktionsparagraphen 31 des zweiten Sozialgesetzbuches aufruft, mit dem die Erwerbslosen erpresst und gedemütigt werden. Dieser Aufruf mitsamt der Liste der Initiatoren und Erstunterzeichner ist hier zu lesen und mitzuzeichnen unter www.sanktionsmoratorium.de 

Seit 15.9.2009 steht nun auch eine öffentliche Petition gegen § 31 SGB II auf der Internetseite des Bundestages zur Mitzeichnung zur Verfügung. Den direkten Link finden Sie unter unserem Menüpunkt 'Mitzeichnungs-Möglichkeit'.

So erfreulich und unterstützenswert der Aufruf für ein Sanktionsmoratorium ist, der von 5 Professoren, 3 Initiativen und Politikern aus 3 Parteien gestartet wurde, und als Erstzeichner von 18 weiteren Professoren, 7 Juristen und einer ganzen Reihe namhafter Persönlichkeiten mit getragen wird, so ist er doch auch ein Armutszeugnis für das politische System in Deutschland, das sich rechtsstaatlich nennt, aber keinen wirksamen Schutz gegen Menschenrechts-verletzungen der Regierung und ihrer Behörden bietet. Da es um die Fragwürdigkeit eines angewandten Gesetzes geht, muss in einem Rechtsstaat die Verfassungsfrage gestellt werden, zumal sich die Einführung der Hatz-Gesetze inklusive des Sanktionsparagrafen 31 auf eine breite Mehrheit stützen konnte und keine Partei heute bereit ist, sich die Verfassungswidrigkeit dieses von ihr entweder zu verantwortenden oder mitgetragenen Gesetzes einzugestehen, egal wie offensichtlich die mit Hartz IV hervorgerufene Verelendung ist. Auch das Bündnis für ein Sanktionsmoratorium konnte sich in der Frage der Verfassungswidrigkeit der Hartz IV-Sanktionen nicht einigen, als ob es sich um eine schwierige juristische Frage handeln würde. Die Frage der Verfassungswidrigkeit  von § 31 SGB II ist jedoch keineswegs schwierig, sondern geradezu einfach zu beantworten, wenn man mit Kenntnis der Grundrechte und logischem Denken, anstatt mit politischen Befindlichkeiten an diese Frage herangeht. Es ist nun zu hoffen, dass der prominent unterstützte Aufruf für ein Sanktionsmoratorium, der als kleinster gemeinsamer Nenner zustandegekommen ist, auch vom Bundesverfassungsgericht als Signal gehört wird, sich dieser Frage anzunehmen, anstatt die Annahme von Verfassungsbeschwerden zu dieser Frage weiterhin abzulehnen.

Das Bundesverfassungsgericht wurde nach den Erfahrungen mit der gewählten und von einer Mehrheit der Deutschen unterstützten Hitler-Diktatur und ihrem totalen Krieg eingerichtet, um die Regierung und die staatlichen Behörden auf Einhaltung der Grundrechte zu kontrollieren (wenn auch nur auf Antrag). Jetzt leidet Deutschland bereits seit über 5 Jahren unter dem faschistoiden Krieg der Regierung gegen die Erwerbslosen, und das Bundesverfassungsgericht hat sich schlicht darum gedrückt, zur Grundrechtswidrigkeit der Hartz IV-Gesetzgebung Stellung zu nehmen. Sein Versäumnis kann das Bundesverfassungsgericht  nicht damit rechtfertigen, dass Verfassungsbeschwerden nach § 90 BVerfGG (die von jedem eingelegt werden können, der in seinen Grundrechten verletzt wurde) erst nach Erschöpfung des Rechtsweges zulässig sind (Grundsatz der Subsidiarität, der das Verfassungsgericht entlastet und die Etablierung von Rechtswidrigkeit fördert), denn in Abs. 2 Satz 2 dieses Paragraphen heißt es: "Das Bundes-verfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde." Von dieser Möglichkeit macht das Bundes-verfassungsgericht zum Nachteil des Grundrechtsschutzes in Deutschland zu wenig Gebrauch.

Auf die Willkür bei der Annahmeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat bereits unsere Petition I vom April 2007 hingewiesen und eine Änderung gefordert.

Gegen den Europavertrag von Lissabon beispielsweise haben Politiker Verfassungs-beschwerde eingereicht, weil ihnen dieser Vertrag zu viel Bevormundung enthielt. Es gibt aber keine Politiker, die gegen Hartz IV Verfassungsbeschwerde eingereicht haben, obwohl Hartz IV weit schlimmer als Bevormundung ist. Der Grund liegt nicht nur darin, dass die Politiker in der Regel Parteimitglieder sind, und Rot wie Grün und Schwarz wie Gelb sich als Partei für Hartz IV ausgesprochen haben, und manche sogar  lieber aus der Verfassung Grundrechte entfernen wollen, als sich öffentlich einen Verstoß ihrer Politik gegen die Verfassung einzugestehen, der sie sich nach außen verpflichtet zeigen (müssen), ohne ihre Politik in der Praxis danach auszurichten. Der Grund, warum nicht wenigstens einzelne Politiker Verfassungsbeschwerde gegen die schlimmsten der Hatz-Gesetze eingelegt haben, liegt auch darin, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetz zufolge nur Beschwerden von Betroffenen oder von Landesregierungen oder von einem Drittel aller Mitglieder des Bundestages annehmen kann - und so sehen sich die betroffenen Opfer der Hartz IV-Gesetzgebung auf sich allein gestellt, gegen die Propaganda einer sich und die Öffentlichkeit täuschenden  Regierung -. Die Fachgerichte, an die sich die Betroffenen zunächst wenden müssen, hätten zwar ebenfalls die Möglichkeit, dem Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Überprüfung der Vereinbarkeit eines Gesetzes mit den Grundrechten vorzulegen, wie das vom Hessischen Landessozial-gericht und dem Bundessozialgericht immerhin zur Frage des Regelsatzes von Hartz IV-Beziehern im Januar 2009 erfolgt ist, die Scheu der Fachrichterinnen und Fachrichter jedoch, sich mit der Verfassungsfrage gegen die Mehrheit und als Kritiker ihres eigenen Geldgebers zu exponieren, ist so groß, dass die grundlegenden Themen, für deren fehlende Popularität die Propaganda der Regierung sorgt, lieber so lange als möglich unter den Tisch gekehrt werden. Wir haben damit die theoretisch nach dem Grundgesetz eigentlich unmögliche Situation, dass die Gerichte entgegen ihrem Auftrag in der Praxis erneut die grundrechtswidrige Politik einer Regierung unterstützen, wie sie das unter Hitler getan haben, ohne dafür je belangt worden zu sein - von wem auch.

Mit der hier veröffentlichten Verfassungsbeschwerde vom August 2009 gegen Sanktionen nach § 31 SGB II ist die Rechtlosstellung der Erwerbslosen erneut dokumentiert. Obwohl die formalen Voraussetzungen für eine Annahme durch das Bundesverfassungsgericht erfüllt waren, wurde sie nicht zur Entscheidung angenommen. Erfreulicherweise wurde diesem Beschluss vom BVerfG jedoch eine Begründung angefügt, so dass ein Einblick in die Denkweise des Verfassungsgerichts möglich ist. Demnach war dem Verfassungsgericht diesmal zum einen die Begründung der Beschwerde nicht ausführlich genug, zum anderen hat es die Eilbedürftigkeit der Aufhebung einer Sanktion in das Existenzminimum verneint und das Abwarten der Entscheidung des Hauptverfahrens für zumutbar angesehen. Eine Haltung, die unvereinbar ist mit dem 'gesetzlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums', wie ihn das selbe Gericht am 9.2.2010 erneut theoretisch bekräftigt  hat.  Acht Monate nach dieser Regelsatz-Entscheidung des BVerfG hat das Sozialgericht in Konstanz dem Jobcenter die Rücknahme der schon aus formalrechtlichen Gründen unhaltbaren Sanktion nahegelegt, woraufhin die Sanktion 2 Jahre nach ihrer Verhängung formlos vom Jobcenter zurückgenommen wurde, um ein aufhebendes Urteil zu vermeiden. Dieses Beispiel zeigt das verbreitete Bemühen der Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht, Urteile zu vermeiden, die Sanktionen gegen Erwerbslose aufheben und damit einer faschistoiden Regierungspolitik in den Arm fallen, wie es dem Grundgesetz zufolge die Aufgabe der Gerichte wäre. Sozialgericht und Landessozialgericht hatten im 'Eilverfahren' in allen Entscheidungen auf die Rechtswidrigkeit dieser Sanktionierung hingewiesen, sich aber Restzweifel vorbehalten und die Sanktion nicht aufgehoben ("da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst einmal grundsätzlich angeordnet hat"), damit das Jobcenter ungestört seine rechtswidrige Praxis fortführen konnte, was es nun schon über Jahre unter dem Schutz der Gerichte und Staatsanwaltschaften tut. Selbst eine Untätigkeitsklage wegen Nichtbescheidung des Widerspruchs gegen diese Sanktion veranlasste das Sozialgericht zu keiner Handlung. Es wurde einfach gewartet, bis das Jobcenter irgendwann den Widerspruch zurückwies. Wegen der formlosen Rücknahme der Sanktion 2 Jahre nach ihrer Verhängung war die Hauptklage gegenstandslos geworden, und die Fortsetzungsklage, die Rechtswidrigkeit der Sanktion dennoch gerichtlich festzustellen um Wiederholungen  vorzubeugen, wurde vom Sozialgericht abgewiesen, weil grundsätzlich kein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung bestehe!? So sieht Rechtsverweigerung im Dienst der Regierungspolitik aus, nicht aber Rechtsschutz im Dienst der Grundrechte, zu dem jedes Gericht nach dem Grundgesetz der BRD verpflichtet ist.

Wir veröffentlichen hier nun den fragwürdigen Arbeitsvertrag, der den betroffenen Erwerbslosen standardmäßig von einem Tochterunternehmen des Jobcenters zugemutet wird. Damit kann sich jeder selbst eine Meinung darüber bilden, ob dieser als gemeinnützig bezeichnete Vertrag als sittenwidrig anzusehen ist oder nicht. Zum Andenken an Dietmar Sängers, der sich am 21. Dezember 2007 in Singen vor einen fahrenden Zug geworfen hat sei hier festgehalten, dass ihn die Rechtlosstellung durch diesen Vertrag und dessen Durchsetzung durch das Jobcenter und die Beschäftigungsgesellschaft des Landkreises Konstanz in den Tod getrieben hat, nachdem er dem Vertrag auf Dauer nicht nachkommen konnte, totalsanktioniert wurde und durch die Mittellosigkeit kriminalisiert, sich auf Antrag der Beschäftigungsgesellschaft auch noch der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft ausgesetzt sah. Eine Verantwortung für diesen Selbstmord lehnen die Behörden ab. Sie sind ja demokratisch legitimiert, wie man das heute - nach dem Polizeieinsatz vom 30.9.2010 für Stuttgart 21 - so schön sagt, und haben den 'Rechtsstaat' durchzusetzen. Zur Ehrenrettung der Polizei sei hier angemerkt, dass es eine Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten gibt, deren Bundessprecher sich in einer Pressemitteilung vom 2.10.2010 von dem unverhältinismäßigen Polizeieinsatz vom 30.9. in Stuttgart vehement distanziert, und ihn als rechtswidrig eingestuft hat.