Endlich hält ein Gericht die Hartz-IV-Sanktionen für verfassungswidrig

Am 26. Mai 2015 - über zehn Jahre nach Einführung der Hartz-IV-Gesetze - hat Richter Petermann am Sozialgericht Gotha zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern Rutenbeck und Schieck die Sanktionsregeln des SGB II für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes sieht für einen solchen Fall vor, dass die Frage der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Dies hat das Sozialgericht Gotha mit einem 50-seitigen Beschluss unter dem Aktenzeichen S 15 AS 5157/14 getan. Diesen sog. Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Gotha mit der ausführlichen Begründung der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen in das Existenzminimum können Sie vorstehend oder unter dem folgenden Link aufrufen: 

http://www.sggth.thueringen.de/webthfj/webthfj.nsf/0AD60FCE578A520AC1257E5A00360E9A/$File/Vorlagebeschluss%20S%20%2015%20AS%205157%2014.pdf?OpenElement

Anlass für diesen Beschluss war die Klage eines sanktionierten Hartz-IV-Geplagten, dessen Anwalt ein ausführliches Gutachten über die Verfassungswidrigkeit der Sanktionen vorlegen konnte, das von einer Berliner Initiative unter Zuhilfenahme von Spenden erarbeitet worden war und unter dem folgenden Link zur freien Verfügung gestellt wurde:

http://grundrechte-brandbrief.de/Vorlageantrag/Inhaltsverzeichnis.htm

Nachdem sich zehn Jahre lang Hartz-IV-Geplagte an allen Sozialgerichten der Republik gegen die Sanktionsregeln gewehrt haben und auf taube Ohren gestoßen sind, hat nun ein Richter (ehemaliger Bundestagsabgeordneter) mit seinen beiden Beisitzern das jedem Rechtsuchenden zustehende rechtliche Gehör endlich gewährt. Er selbst sagte dazu in einer Diskussion am 7.8.2015 im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (auf youtube unter "Sind Hartz IV Sanktionen verfassungswidrig?"), er habe nur seine Pflicht getan. Tatsächlich besagt der Richtereid in § 38 DRiG: "Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz (...) auszuüben (...) und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen." Ein Sieg des Rechtsstaates ist das also nicht, vielmehr ein Beweis dafür, was für eine Rarität der Mut ist, den es braucht um die Phalanx der im Dienste der Regierung tätigen Rechtsverweigerer zu durchbrechen. Man darf gespannt sein, welche Winkelzüge das Bundesverfassungsgericht mit seinen CDU- und SPD-Richtern zum Schutz der mit Erpressungsgeldern gefüllten Staatskasse wieder vornehmen wird, um den Anschein des Grundrechtsschutzes zu wahren, ohne der Regierung und ihren Handlangern ein Haar zu krümmen.

Seit 6.5.2016 ist der erste Winkelzug des Bundesverfassungsgerichts bekannt, der in seiner rechtsstaatlichen Erbärmlichkeit nicht zu überbieten ist. Die Kammer des Vizepräsidenten Kirchhof hat einstimmig beschlossen, die Vorlage des Sozialgerichts Gotha als unzulässig zurückzuweisen mit der fadenscheinigen Begründung, dass darin nicht ausreichend begründet sei, warum die Verfassungswidrigkeit der Sanktionsnormen des SGB II für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sein solle, da die Sanktionen in dem Ausgangsverfahren ja auch schon deshalb rechtswidrig sein könnten, weil das Jobcenter den Kläger evtl. nicht rechtzeitig und ausreichend auf die Rechtsfolgen bei Ungehorsam hingewiesen hat. Zitat aus dem Beschluss des BVerfG (1 BvL 7/15) unter Randnr. 18: "Fehlte es bereits an dieser Tatbestandsvoraussetzung für eine Sanktion, wären die angegriffenen Bescheide rechtswidrig und es käme auf die Verfassungsgemäßheit der ihnen zugrunde liegenden Normen entscheidungserheblich nicht mehr an."  Das Sozialgericht Gotha hatte diesbezüglich lediglich in der Darstellung des Sachverhalts bestätigt, dass der Kläger vom Jobcenter über die Rechtsfolgen belehrt worden war, dass diese Rechtsfolgenbelehrung auch ausreichend war, hat es nicht extra dargelegt. Das Bundessozialgericht hatte 2010 unzureichende Rechtsfolgenbelehrungen moniert, worauf die Jobcenter mit Ergänzungen reagiert haben, und der Gesetzgeber 2011 den Sanktionsparagraphen dahingehend ergänzt hat, dass sogar eine fehlende Rechtsfolgenbelehrung unerheblich sein soll, wenn der Betroffene die Rechtsfolgen kennt. Das ist wieder so eine Gummiregelung, die erkennen lässt, dass es dem Gesetzgeber um Spielraum für willkürliche Repression und nicht um Wahrung der Grundrechte geht. Das Sozialgericht Gotha hätte dem Schlußabsatz des BVerfG zufolge auch zu dieser Alternative Stellung nehmen sollen, also ob auch bei unzureichender Rechtsfolgenbelehrung die Kenntnis der Rechtsfolgen hätte vorausgesetzt werden können, so dass die Sanktionen nicht schon wegen fehlender Kenntnis der vom Gesetzgeber gewollten Folgen rechtswidrig gewesen wären; ein Beweis, der schwer zu führen ist und von einem das rechtliche Gehör nach Belieben verweigernden Gericht wie dem BVerfG jederzeit als unzureichend zurückgewiesen werden kann. Da die fraglichen Sanktionen jedoch aus 2014 stammten, war die Rechtsfolgenbelehrung zu dem Zeitpunkt kein Thema mehr an den Sozialgerichten, weshalb das Sozialgericht Gotha auf diese Frage eben nicht eingehen musste; es ist ja auch nicht auf die Frage eingegangen, ob die sanktionierenden Jobcenter-MitarbeiterInnen zurechnungsfähig waren, woran das BVerfG zu zweifeln scheint. Sollten sie unzurechnungsfähig gewesen sein, wären die Sanktionen schon aus diesem Grund anfechtbar, und man könnte sich um die Frage der Verfassungswidrigkeit der Sanktionsnormen des SGB II ebenso drücken wie mit der vom BVerfG jetzt herangezogenen Begründung. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 2016 ist angesichts der Dimension der Grundrechtsverletzung durch die Sanktionsnormen nicht zuletzt eine schwere Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, ohne den es keine Rechtsstaatlichkeit gibt. Er ist rechtsstaatlich umso erbärmlicher, als er unter Randnr. 16 f bestätigt, dass der Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Gotha "durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen" aufwerfe und die "in Literatur und sozialgerichtlicher Rechtsprechung vertretenen Ansichten" vertretbar verwerfe. Daraus geht hervor, dass das BVerfG die Argumente des Sozialgerichts Gotha für zu gewichtig ansieht um ihnen Geltung zu verschaffen, und den Grundrechtsschutz wider besseres Wissen verweigert. Es ist nicht anzunehmen, dass diese Rechtsverweigerung auf Demenz zurückzuführen ist, vielmehr ist dieser Verstoß gegen den Richtereid die unverschämte Fortführung der seit 2005 andauernden Grundrechtsverweigerung bezüglich der Sanktionen in das Existenzminimum. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt damit die Rechtswissenschaft als Wissenschaft von der Rechtsverdrehung, wo sie die Wissenschaft von der Rechtsgewährung sein sollte. Es gibt also Anlass zu größter Sorge, wenn z.B. Bundesjustizminister Maas aus welchem Anlass auch immer sagt, er wolle "mit allen Mitteln des Rechtsstaates" vorgehen, statt zu sagen, er werde mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vorgehen. Leider ist das heute nicht dasselbe. Sie finden den Beschluss des BVerfG vom 6.5.2016 unter dem Aktenzeichen 1 BvL 7/15 oder unter folgendem Link:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/05/lk20160506_1bvl000715.html

Richter Petermann vom Sozialgericht Gotha hat auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hin genial reagiert: Er hat am 2.8.2016 mit dem Kläger und dem Jobcenter eine weitere Verhandlung durchgeführt und die Frage der Rechtsfolgenbelehrung bzw. Kenntnis der Rechtsfolgen geklärt, indem der Kläger nun zu Protokoll gab, in Kenntnis der angedrohten Rechtsfolgen gehandelt zu haben. Damit war der geforderte Beweis gegeben, und Richter Petermann konnte seinen Vorlagebeschluss entsprechend ergänzen und erneut dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen - Gratulation!   

Wenn Sie sich die Frage stellen, wie es möglich ist, dass in einem sog. Rechtsstaat erst zehn Jahre nach Einführung eines täglich angewendeten Gesetzes dessen Grundrechtswidrigkeit von einem Gericht zur Sprache gebracht wird, ist zu bedenken, dass auch dieser Vorlagebeschluss einem Richter zu verdanken ist, der von 2009-2013 als Bundestagsabgeordneter rechtspolitischer Sprecher der Partei Die Linke war, und (so wirkt es zumindest von außen) mit der Absicht in den Richterdienst wechselte, den Hartz-IV-Geplagten zu helfen, was ihm im Bundestag angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht möglich war. Obwohl er unverzüglich gehandelt und einen geeigneten Sanktionsfall für die Aufforderung an das Bundesverfassungsgericht genutzt hat, verzögerte dieses Gericht seine Stellungnahme um weitere 4 1/2 Jahre (s. unten) .- das ist fast die Dauer des 2. Weltkrieges.

Das Bundesverfassungsgericht ist unabhängiger als andere deutsche Gerichte, jedenfalls steht es offensichtlich weniger unter Erledigungsdruck. Dennoch lohnt sich für die Situation der Rechtsprechung in Deutschland ein Blick zu Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht in Freiburg. Ähnlich wie Inge Hannemann als ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin uns das Innenleben der Jobcenter gezeigt hat (im Mai 2015 ist ihr Buch "Die Hartz IV Diktatur" erschienen), so gibt  Thomas Schulte-Kellinghaus mit seiner Klage gegen die Präsidentin des Oberlandesgerichts Karlsruhe Einblick in den Druck, dem sich RichterInnen ausgesetzt sehen. In einem Interview vom 21.7.2015 mit der Legal Tribune Online -  http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/kellinghaus-interview-erledigungsquote-richter/  

sagte er u.a.: "Richter können nach dem Urteil des Dienstgerichtshofs gezwungen werden, die Anwendung von Gesetzen den Interessen und Wünschen der Landespolitik anzupassen. Dazu möchte ich nicht mehr schweigen." "Das wichtigste politische Ziel der Justizminister in den Bundesländern ist seit Langem die Ressourcenbegrenzung. Die Justiz darf nicht mehr kosten, als die Politik ausgeben möchte. Das geht nur, wenn man die Richter dazu bringt, ihre Rechtsanwendung der Haushaltspolitik der Länder anzupassen. Das ist eine verfassungswidrige Zielvorstellung." "Es gibt faule Richter, wie es in jedem Beruf faule Arbeitnehmer gibt. Aber das sind in der ordentlichen Justiz in Deutschland nur diejenigen, die keine Probleme mit ihren Erledigungszahlen haben. Die wissen, wie man ein Verfahren "effizient gestaltet", die z.B. im Zivilprozess ,möglichst wenige Hinweise erteilen, Vortrag, der zusätzlichen Aufwand erfordern würde, als unsubstantiiert zurückweisen, oder die Parteien gleich in einen Vergleich bzw. einen Deal drängen. Wenn Sie so arbeiten, könen Sie ein effizienter Richter sein." "Normalerweise reicht der indirekte, aber hoch wirksame, Erledigungsdruck an den Gerichten aus, um Richter dazu zu bringen, in erster Linie für gute Zahlen zu sorgen, und diesem Ziel ihre Rechtsanwendung anzupassen." "Die Justizverwaltung interessiert sich wenig dafür, ob Menschen zu ihrem Recht kommen oder nicht. Wir Richter sollten uns dafür interessieren." "Die Bereitschaft in der Richterschaft, sich mit dem System des Erledigungsdrucks und mit den Auswirkungen auf den Rechtsstaat und die betroffenen Bürger zu beschäftigen, ist niedrig ... Eine Bereitschaft zum notwendigen sachlichen Konflikt mit Gerichtspräsidenten und Justizministern ist in den Richterverbänden kaum vorhanden." "Der Druck auf Richter in Deutschland - Produktion von Erledigungszahlen statt verantwortungsbewusster und unabhängiger Rechtsanwendung - wird sich verschärfen, wenn die Entscheidung des Dienstgerichtshofs nicht aufgehoben wird ... Die Pilotfunktion des Verfahrens ist für mich ein wichtiges Motiv, den juristischen Kampf für eine rechtsstaatliche Justiz - trotz der damit verbundenen Belastungen - weiter zu führen."

Hier spricht also ein praktizierender Richter, der nicht länger schweigen möchte, von dem notwendigen Kampf für eine rechtsstaatliche Justiz in Deutschland. Dieser Kampf, wie jeder Kampf für den Schutz der Grundrechte, muss gegen die Regierung, ihre Handlanger und Hintermänner geführt werden, die dafür sorgen, dass es für die Richtung der Politik gleichgültig ist, wer als sog. Sieger aus Wahlen hervorgeht.

Für die Mittäter bzw. Handlanger grundrechtswidriger Politik lohnt sich ein Blick in den Kommentar des ehemaligen Staatsanwaltes Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 15.7.2015. Unter dem Titel "Das letzte Gericht" schrieb er zum Urteil des Landgerichts Lüneburg im Prozess gegen den Buchhalter des Konzentrationslagers Auschwitz, Oskar Gröning: "Tätig dabei zu sein, ist Beihilfe - für diese naheliegende, für diese selbstverständliche Feststellung hat die bundesdeutsche Justiz jahrzehntelang gebraucht."

Denken Sie daran, wenn die Vertreter der Regierungspolitik wieder einmal ihr Loblied auf den deutschen Rechtsstaat anstimmen. Der tut sich schwer im Umgang mit Flüchtlingen, die der Lüge vom Rechtsstaat Glauben schenkend in dieses Land kommen und auf Grundrechtsschutz hoffen, wo die Regierung nicht einmal bereit ist, den heimischen Bürgern ausreichenden Grundrechtsschutz zu gewähren.

Die Altenburger Landrätin Michaele Sojka (Thüringen) forderte auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Gotha hin das Jobcenter in ihrem Kreis dazu auf, keine Sanktionen mehr gegen Hartz-IV-Bezieher zu verhängen.

Eine gegenteilige Haltung zeigte z.B. ein Landrat in Baden-Württemberg 2009, als er in einem offenen Brief aufgefordert wurde, das Jobcenter als Brutstätte für Menschenrechtsverletzungen zu schließen - Damals hatte noch kein Gericht die Hartz-IV-Sanktionen für verfassungswidrig erklärt; ihre Menschenrechtswidrigkeit war aber für jeden, der hinschaute, offensichtlich. Den offenen Brief, wie er in der Lokalzeitung veröffentlicht wurde, und das Antwortschreiben des Landrats finden Sie hier

Am 10.8.2015 erklärte auch das Sozialgericht Dresden die Sanktionsparagraphen des SGB II für verfassungswidrig. In dem Urteil S 20 AS 1507/14 gab es der Klage eines wegen angeblicher Arbeitsverweigerung sanktionierten Hartz-IV-Geplagten statt. Nachdem es drei Gründe dargelegt hatte, warum die Sanktionierung im vorliegenden Fall rechtswidrig war, schloß es das Urteil mit dem Satz: "Damit kann es offen bleiben, ob die § 31 ... SGB II wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 ... GG) verfassungswidrig sind, wovon die Kammer überzeugt ist (vergl. im Einzelnen SG Gotha, Vorlagebeschluss vom 26. Mai 2015 - S 15 AS5157/14 -)." Auch die 20. Kammer des Sozialgerichts Dresden brachte also ihre Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Sanktionsparagraphen des Sozialgesetzbuches II zum Ausdruck - Gratulation!

Am 5.11.2019 schließlich verkündete das Bundesverfassungsgericht sein Urteil, jetzt unter dem Aktenzeichen 1 BvL 7/16, und erklärte zwar nicht die Sanktionsparagraphen als Ganzes, wohl aber deren Ausgestaltung in Form von Sanktionen, die 30 % der Regelleistung überschreiten, für grundgesetzwidrig. Dabei hat es das BVerfG vermieden, § 31a Abs. 1 SGB II für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig zu erklären, weil "daraus grundsätzlich die Verpflichtung des Gesetzgebers" gefolgt wäre, "die Rechtslage rückwirkend verfassungsgemäß umzugestalten", wie das BVerfG z.B. in seinem Beschluss 2 BvL 2/17 unter RNr. 39 geschrieben hat; und das hätte die Nachzahlung aller über 30% hinausgehenden Sanktionen bedeutet. Fast 15 Jahre lang haben die Jobcenter also, nun vom höchsten deutschen Gericht bestätigt, gegen die Menschenrechte verstoßen, haben Menschen in den Tod getrieben, in die Psychiatrie, in die Erwerbsunfähigkeit, und das Land im Fahrwasser einer faschistoiden Regierungspolitik mit Angst und Elend  überzogen. Das darf nicht ohne Folgen bleiben, auch wenn das BVerfG eine Opferentschädigung verweigert. Mit Blick auf die oben von Heribert Prantl kommentierte Gerichtsentscheidung - Tätig dabei zu sein, ist Beihilfe - muss strafrechtlich gegen alle Beteiligten an der Verhängung und Durchsetzung von 30 % der Regelleistung überschreitenden Sanktionen vorgegangen werden. Die meisten von ihnen sind beamtet und haben gegen den Beamteneid verstoßen, die Grundrechte zu wahren. Auch Gerhard Schröder als Initiator der Sanktionen war als Rechtsanwalt und Bundeskanzler doppelt auf die Wahrung der Grundrechte vereidigt. Der Verstoß gegen die Menschenrechte war von Anfang an offensichtlich, doch Schröder hatte es nicht einmal nötig, die Einschränkung der Grundrechte für die Betroffenen in seinem Gesetz eindeutig festzustellen, wie es das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 1 vorschreibt. Entsprechend offensichtlich hätte der Widerstand bei den Beamten gegen diese Sanktionspolitik sein müssen; doch Widerstand und Beamte sind nunmal unvereinbare Begriffe, egal was der Eid sagt. Wenn hier keine Konsequenzen erfolgen - als handle es sich um einen Vogelschiss, der einfach vom Tisch zu wischen ist -, kann man den Grundrechtsschutz in Deutschland vergessen. Oder sollen sich die Deutschen erneut auf Mitläufertum und Nichtwissen herausreden können? Die Verbrechen der Behörden sind in den Jobcenter- und Gerichtsakten gut dokumentiert, soweit diese nicht nach 10 Jahren bereits geschreddert wurden, ebenso sind die Verantwortlichen klar, doch bei den Folgen dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit haben die meisten wiedermal weggesehen.

Besagter Heribert Prantl schrieb am 13.1.2019 in der Süddeutschen Zeitung: "Der Sanktionsparagraf 31 des Sozialgesetzbuchs II (...) behandelt die Leute als potenzielle Faulpelze, denen man die Faulpelzerei auf Schritt und Tritt austreiben muss. Hartz IV macht den Bürger, wenn er arm ist, zum Untertan. Das darf nicht sein." Das Urteil des BVerfG vom 5.11.2019 ändert an der demütigenden Einstellung zu den Erwerbslosen nichts. Lediglich der Exitus soll vermieden werden, weil das kapitale System die Entrechteten als Drohkulisse zur Erpressung der Erwerbstätigen benötigt. 

Einen ausführlichen Kommentar zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 7/16 vom 5.11.2019 finden Sie auf dieser Internetseite unter dem Menüpunkt Bedingungsloses Grundeinkommen.