Fördern und Fordern?

Zu dem von Rechtsanwalt G. Schröder (SPD) als Bundeskanzler (Okt. 1998 - Nov. 2005) mit Hilfe der Grünen in das Sozialsystem eingeführten Motto "Fördern und Fordern" schrieb nun der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic (heute unabhängiger Abgeordneter im Bundestag), am 9.3.2013 in der sozialistischen Tageszeitung neues deutschland  auf Seite 22 Klartext:

"Dieses Prinzip widerspricht dem höchsten Gebot unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Und weiter: "Menschenrechte gelten für alle. Sie stehen nicht im Ermessen einer Regierung oder eines Sachbearbeiters im Jobcenter. Sie können nicht an Bedingungen geknüpft werden. Auch soziale Grundrechte sind unverkäuflich und nicht verhandelbar ... Das Prinzip des "Förderns und Forderns", das derzeit im deutschen Sozialrecht gilt, ist ein Rückfall hinter die Errungenschaft allgemeiner Menschenrechte."

 

Wenn wir fragen, woher der "Medienkanzler" G. Schröder dieses unsägliche Motto "Fördern und Fordern" hatte, das inzwischen nicht nur auf die Beschäftigungspolitik angewendet wird, dann kommen wir unwillkürlich zur Bertelsmann Stiftung, die eines der größten Medienunternehmen weltweit dirigiert. Bereits 2001, also bevor Schröder die Hartz-Kommission 2002 einsetzte, hat die steuerlich als gemeinnützig angesehene Stiftung ein "Handbuch zur Kooperation von Arbeitsämtern und Kommunen, Gemeinsam für die Integration in den Arbeitsmarkt" veröffentlicht, in dem es in der Einleitung aus der Feder des Bertelsmann-Bereichsleiters Wirtschaft heißt:  "Die Bertelsmann Stiftung moderiert seit Oktober 1999 eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Verbesserung der Integrationsangebote für Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger beschäftigt."  Auf Seite 56 dieses Handbuches heißt es unter der Überschrift "Fördern und Fordern": "Eine weitere wichtige Voraussetzung für Erfolg versprechende Integrationsbemühungen ist der ausbalancierte Zweiklang von Fördern und Fordern ... Dem Hilfe Suchenden muss von Beginn an klar gemacht werden, was ihn bei einer Verweigerung der angebotenen Hilfeleistungen erwartet." Dass ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, kein Angebot und unter Umständen auch keine Hilfeleistung ist, hat diese Ideenstifter nicht interessiert und wird bis heute übergangen. 

2002 folgte das "Handbuch Beratung und Integration", das gleich im Untertitel den Hinweis enthält: "Fördern und Fordern - Eingliederungsstrategien in der Beschäftigungsförderung." Zur Absicht dieses zweiten Handbuches aus dem Hause Bertelsmann heißt es auf Seite 5: "Das vorliegende Handbuch möchte Ihnen Grundlagen und Beispiele gegenwärtiger Praxis der Beschäftigungsförderung vermitteln ... Bevor Sie sich ab Kapitel III mit den Strukturen und Instrumenten vertraut machen können, finden Sie in den ersten beiden Kapiteln Aussagen zu den Rahmenbedingungen. Neben einigen Hinweisen zu den allgemeinen Trends des Arbeitsmarktes und der Beschäftigungsförderung wird vor allem die Maxime Fördern und Fordern diskutiert. Diese wird von allen beispielgebenden Ämtern durchgängig angewendet und ist Voraussetzung für Erfolg versprechende Integrationsarbeit. ... Das Handbuch wendet sich an einen breiten Kreis von Akteuren im Bereich Arbeitsvermittlung, insbesondere an solche auf der kommunalen Ebene. Sein Handlungsansatz zielt weit über den des Arbeitsförderungsrechts ... hinaus. ... Mit Wirkung vom 1. Januar 2002 werden durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) Handlungsansätze ... explizit im Arbeitsförderungsrecht des Bundes, das für die Arbeitsämter maßgeblich ist, verankert. ... Unser Handbuch zielt darauf ab, alle Akteure bei dieser schwierigen Aufgabe zu unterstützen, neue Impulse zu geben, und die Zusammenarbeit zu verbessern."

Die Hartz-Gesetze wurden also nicht von der Hartz-Kommission erfunden, vielmehr findet sich alles schon in den Handbüchern der Bertelsmann Stiftung, deren Präsidiumsvorsitzender im Magazin der Stiftung (forum 1/2004) mit folgendem Satz zitiert wurde: "Wir wollen mit starken Partnern eine möglichst große gesellschaftliche Hebelwirkung erzielen." Die Hebelwirkung mit G. Schröder als Partner ist gelungen: die Menschenrechte für Erwerbslose wurden abgeschafft, die soziale Sicherheit untergraben, die Arbeitnehmer dadurch erpressbar, die Schere zwischen Arm und Reich durch die Diskriminierung der einen und Hofierung der anderen weit geöffnet, und Deutschland zu einem Überwachungsstaat von Feiglingen, Neidern und Denunzianten.  Das Schauspiel mit der Hartz-Kommission hat G. Schröder nur inszeniert, um den Rückbau der Menschenrechte auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen, weil der Widerstand dagegen sonst zu groß gewesen wäre.

Der Co-Autor des Buches Bertelsmann - Hinter der Fassade des Medienkonzerns, Frank Böckelmann, sagte am 9.11.2004 in einem Interview: "Ohne Bertelsmann oder gar gegen Bertelsmann geht hier nichts mehr. Man kann dennoch nicht sagen, dass Deutschland von Bertelsmann regiert wird. Schon deswegen nicht, weil es ja die Politiker sind, die zu Bertelsmann kommen. ... Kurz nach dem Wahlsieg 1998 und der Regierungsübernahme pilgerten Gerhard Schröder und Joschka Fischer nach Gütersloh und statteten dort ihren Dank ab. Jeder Wahlsieger weiß, wem er viel zu verdanken hat, ob er nun Schröder oder Merkel heißt. Bertelsmann kann mit allen."   Damit erklärt sich, warum es immer weniger Unterschiede zwischen den Bundestagsparteien gibt, so dass sich die Frage nach dem Sinn von Bundestagswahlen erhebt. Kein Bürger hat Bertelsmann in die Regierung gewählt, aber alle haben verdeckt Bertelsmann bekommen. Viele dachten sogar, Demokratie zu wählen, doch alle haben eine Finanzdiktatur erhalten, und die meisten lassen sich auch noch einreden, sie sei notwendig, doch das ist sie nicht! 

Frank Böckelmann und Hersch Fischler schrieben in ihrem Buch, das wie alle anderen bertelsmannkritischen Bücher im Buchhandel nicht mehr erhältlich ist: "Bezeichnenderweise ist es nahezu unbekannt, dass die Stiftung die Hochschul-, Gesundheits-, Wirtschafts-, und Arbeitsmarktpolitik seit dem Antritt der Regierung Schröder entscheidend bestimmt hat." Von den Studiengebühren angefangen, ist alles unter dem Dach der Bertelsmann Stiftung ausgebrütet worden, die den Umbau des Staates zu einem Unternehmen nach den Grundsätzen der Effektivitätssteigerung betreibt. Dass sich Effektivität an einem Ziel bemisst, und der Staat - zumindest nach dem Grundgesetz - andere Ziele hat als ein gewinnmaximierendes Unternehmen, wird von den Betreibern der Stiftung nicht bedacht. Zur Eröffnung der gemeinsamen Hauptstadt-Repräsentanz von Bertelsmann AG und Bertelsmann Stiftung am 6.11.2003 Unter den Linden 1 in Berlin sagte deren Vorsitzender im Beisein des Bundeskanzlers: "Die Bertelsmann Stiftung ist längst in Berlin angekommen ... Ab heute steht uns für unsere Veranstaltungen ein eigener, zentraler Veranstaltungsort in unmittelbarer Nähe zu wichtigen politischen und kulturellen Institutionen zur Verfügung." 

In der IfM-Mediendatenbank 2012 steht über Bertelsmann: "Soziale Verantwortung, Unternehmenskultur, Führung und Patnerschaft, gesellschaftlicher Beitrag, Dialog - die wohlklingenden Begriffe sind Standardvokabular der Manager Bertelsmanns. Unentwegt beten sie der Öffentlichkeit einen Werte-Katechismus vor - ... Im Innenverhältnis dagegen messen sie sich an einer viel profaneren Größe: dem Gewinn. Das Unternehmen aus Gütersloh hat sich eine Rendite von mindestens zehn Prozent auf den Umsatz vorgeschrieben." "In die Kritik ist Bertelsmann derweil für seine von Kritikern als anrüchig beschriebene Jagd nach Adressen von Schülern und Kleinkindern geraten. Seit Jahren verteilt der Konzern an deutschen Schulen Gutscheine für Duden und andere Lehrbücher [Duden wurde zusammen mit der ganzen Brockhaus-Gruppe 2009 vom Bertelsmann-Konzern gekauft]. Die Kinder, die Gutscheinformulare ausfüllen und von Eltern unterschreiben lassen, werden anschließend von Callcentern und Haustürgeschäften belästigt. Bertelsmann betreibt gegenwärtig in Brüssel Lobbyanstrengungen, den Datenschutz von Kindern weiter zu verringern."

Die Mediendatenbank 2012 nennt Bertelsmann das größte Medienhaus Europas, mit Tochterunternehmen in über 50 Ländern. Wenn wir fragen, wes Geistes Kind der Bertelsmann Medienkonzern ist, der in Deutschland die Politik bestimmt und vielen nicht nur in Form der Meinungsmacher RTL, Stern, Focus, Brigitte, Capital, (600 Zeitschriften weltweit und über 800 Zeitungen und Magazine gehören zu dem Konzern, die alle die Mär vom erfolgreichen Fördern und Fordern verbreiten), sondern auch durch das aufdringliche Direkt-Marketing seines seit 1950 bestehenden Buch-Clubs bekannt ist, dessen Methoden nun u.a. auch von Vodafone D2 übernommen wurden, wird die Antwort nicht überraschen. Der Bertelsmann-Konzern hat sich aus einem theologischen Verlag entwickelt und ist damit ein Kind der Theologie, jener Religion also, die, sich auf Paulus (in 2 Thess. 3, 10) berufend, sagt: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen," wobei das griechische Wort für "arbeiten" (ergasome) im Originaltext des Neuen Testaments dasselbe ist wie für "funktionieren" und in deutschen Ohren einen fürchterlichen Klang hat. Wer also nicht funktionieren will, wie es die Regierung von ihm fordert, dem wird nach diesem Motto der Anspruch auf Leben und Menschenrechte entzogen. Dieses Motto ist der Kern jeder Form von Faschismus, der die menschliche Individualität überrollt, um aus den verkrüppelten Menschen autoritätshörig funktionierende Maschinen bzw. Sklaven zu machen. Vielleicht erinnern sich manche noch: Es war einmal, da hieß es, der Staat sei für die Bürger da, und nicht umgekehrt. Der Staat sollte Verwaltungsaufgaben von den Bürgern übernehmen und nicht die Bürger verwalten und jagen. Zu diesen Verwaltungsaufgaben gehörte der Schutz der Grundrechte als Voraussetzung für Frieden. Doch für die deutsche 'Administrantion' herrscht Rechtsfrieden, wenn niemand mehr gegen Grundrechtsverletzungen aufbegehrt.

Solange nicht feststeht, was Menschenwürde eigentlich ist, deren Schutz am Anfang des Grundgesetzes zur staatlichen Pflicht erklärt wird, solange kann jede Regierung behaupten, sie schütze die Menschenwürde. G. Schröder beispielsweise sagte am 14.3.2013 in seiner Rede beim Managerkreis der SPD-nahen Friedrich Ebert Stiftung aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums der von ihm eingeführten "Agenda 2010": "Es gehört zu meinem sozialdemokratischen Verständnis, dass die Würde des Menschen auch etwas mit Arbeit zu tun hat." Großartig! Mit diesem schwammigen Begriff rechtfertigt G. Schröder bis heute den Arbeitszwang und die Diskriminierung der Erwerbslosen, und die SPD fühlt sich nach dem Tod ihres sozialen Gewissens, Ottmar Schreiner, geschlossener denn je daran gebunden. Der schrödersche Würdebegriff ist mit Hartz IV zum Würgegriff geworden. "Ein Staat, der nicht befähigt zu arbeiten, sondern sich damit begnügt zu betreuen, ist keiner, der diese Würde in vollem Umfang respektiert", fuhr er fort. Doch Hartz IV befähigt nicht zu arbeiten, sondern dezimiert die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen und beschneidet ihre Möglichkeiten der Selbstentfaltung, die Art. 2 des Grundgesetzes eigentlich hätte sichern sollen. Dieses Grundgesetz hat der clevere Anwalt der Macht locker weggekickt. Wen kümmert noch das Grundgesetz, wenn die Kasse leer ist? "Jene, die meinen, es gäbe ein Recht auf Einkommen und Auskommen ohne das ihm oder ihr Mögliche zu tun, die ... finden keine Solidarität bei denen, die ... das schließlich über ihre Steuern finanzieren müssen, sie finden keinen Respekt bei denen, um die es dabei geht. Insofern glaube ich, dass das Menschenbild, das hinter unseren Vorstellungen gestanden hat und steht, sehr wohl eines ist, mit dem man sich in der Gesellschaft sehen lassen kann." Großartig, die Ausgrenzung der seiner Meinung nach selbstverschuldet Erwerbslosen ist bis heute sein Programm, an das er die SPD gebunden hält, denn wie eben zitiert, geht es ihm nicht um die Erwerbslosen, sondern um die Geldgeber und jene Steuerzahler, die er mit seinem Feindbild aufgehetzt hat, den Erwerbslosen die Solidarität und den Respekt bzw. die Menschenwürde zu verweigern. Solange er mit Unterstützung der Medien die Mehrheit auf seiner Seite weiß, kann er sich in der Gesellschaft sehen lassen, ganz im Gegensatz zu jenen, deren Menschenwürde er mit Hilfe der selben Medien gezielt untergräbt. Offensichtlich hat ihm und seinen Nachfolgern niemand gesagt, dass das Menschenbild, das hinter seinen Vorstellungen stand und steht, einem faschistoiden Denken entspringt und im Widerspruch steht zu dem des Grundgesetzes!

Im Bertelsmann Handlexikon von 1975 steht über den Faschismus als politische Grundhaltung: "Der einzelne soll sich als Glied einer heilen Volksgemeinschaft fühlen und kann dann, als Vertreter des "gesunden Volksempfindens", alle Andersgearteten und Andersdenkenden als "minderwertig" und "Untermenschen" nach freiem Ermessen verurteilen, bestrafen und ausrotten. ... Der Faschismus ist die Diktatur des Kleinbürgers, dessen Engstirnigkeit zur Norm von "Ordnung und Sauberkeit" erhoben wird." Daraus geht hervor, was den Faschismus so attraktiv macht: Jeder kann zum Diktator werden - wenn er nach oben buckelt, kann er nach unten treten. Und je mehr er zu buckeln gezwungen wurde, umso mehr wird er treten und seinen Beitrag zur Erhaltung dieses Systems leisten. Der Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897-1957) hatte schon 1942 im Vorwort zur dritten Auflage seines Buches Die Massenpsychologie des Faschismus geschrieben: "Die faschistische Mentalität ist die Mentalität des kleinen, unterjochten, autoritätssüchtigen und gleichzeitig rebellischen 'kleinen Mannes'." "Meine ärztlichen Erfahrungen mit Menschen vieler Schichten, Rassen, Nationen, Glaubensbekenntnissen etc. hatten mich gelehrt, dass Faschismus nur der politisch organisierte Ausdruck der durchschnittlichen menschlichen Charakterstruktur ist, eine Struktur, die weder an bestimmte Rassen oder Nationen noch an bestimmte Parteien gebunden ist, die allgemein und international ist. In diesem charakterlichen Sinne ist Faschismus die emotionelle Grundhaltung des autoritär unterdrückten Menschen. ... Der Faschismus wurde und wird noch immer, zum Schaden der echten Freiheitsbestrebungen, als die Diktatur einer kleinen reaktionären Clique aufgefasst. Die Hartnäckigkeit dieses Irrtums ist der Angst vor dem Erkennen der wirklichen Sachlage zuzuschreiben: Der Faschismus ist eine internationale Erscheinung, die sämtliche Körperschaften der menschlichen Gesellschaft aller Nationen durchsetzt. ... Meine charakteranalytischen Erfahrungen überzeugten mich, dass es heute keinen einzigen lebenden Menschen gibt, der nicht in seiner Struktur die Elemente des faschistischen Fühlens und Denkens trüge." In Kapitel IX.2 schrieb Wilhelm Reich dann: "... Man verstand, weshalb die Masse total formbar, knetbar, bewusstlos und zur Anpassung an jegliche Macht, an jegliche Niedertracht fähig ist. ... Alle politische Reaktion ließ sich nun auf die emotionelle Pest in den Menschenmassen dieses Planeten seit dem Einbruch des autoritären Patriarchats zurückführen. Es ist nun gerade die Aufgabe der echt demokratisch-revolutionären Bewegung, die durch jahrtausendealte Unterdrückung des Lebendigen willenlos, kritikunfähig und hörig gewordenen Menschenmassen so zu lenken (nicht von oben herab zu führen!), dass sie jede Unterdrückung sofort zu spüren und sie rechtzeitig, endgültig und unwiderruflich abzuschütteln lernen." Wilhelm Reich sah die Menschenmassen also durch Unterdrückung freiheitsunfähig geworden an. Ihre Unfähigkeit war aber nicht naturgegeben, so dass er sie als prinzipiell freiheitsfähig betrachtete. In einer "echt demokratisch-revolutionären Bewegung" sah er die Möglichkeit, die Unterdrückung und Freiheitsunfähigkeit zu überwinden. Eine solche Entwicklung wollten etliche nach dem Ende des Hitlerfaschismus in Deutschland mit der Verankerung der Grundrechte am Beginn des Grundgesetzes gewährleisten, doch es reicht nicht, das Papier damit zu beschreiben, zumal schon Artikel 1 mit einer ungeheuerlichen Lüge beginnt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Nein! Die Würde des Menschen ist eben nicht unantastbar, sondern wird täglich angetastet und verletzt. Wir bräuchten ihren Schutz und die Grundrechte nicht, wenn dem nicht so wäre. Man hat also auf die Echtheit zu achten 'vergessen'. Die Grundrechte sind zum Schutz und zur Entwicklung der Freiheit gedacht und sollten das Bollwerk sein gegen Faschismus jeglicher Art. Die Bevölkerung hätte von einer auf das Grundgesetz vereidigten Regierung erwarten können müssen, dass sie der allgegenwärtigen Latenz des Faschismus zu widerstehen weiß, anstatt ihr zu erliegen, wie das bei der rot-grünen Regierung Schröder bahnbrechend der Fall war. Aufgrund ihrer Hartz-IV-Politik, der die nachfolgende Regierung Merkel, fröhlich das Etikett Menschenrechte schwenkend gefolgt ist, werden heute Erwerbslose ungestraft als Faulenzer diskreditiert und nach willkürlichem Ermessen der Jobcenter ohne Verfahren vor einem neutralen Gericht bis auf Null sanktioniert, um so die angeblich Faulen auszurotten.

Warum gab es im 3. Reich kaum Widerstand gegen die Deportation der Juden? Nicht nur, weil ein entsprechendes Feindbild aufgebaut worden war, sondern weil alles, bis zur Prügelstrafe und darüber hinaus, geordnet ablief, nach 'Recht und Gesetz', wie es in der ZDF-History-Dokumentation "Davon haben wir nichts gewusst - Die Deutschen und der Holocaust" heißt. Deutsche Polizisten waren beteiligt, auch Zöllner, Verwaltungsbeamte und Gerichtsvollzieher, wie könnte da etwas nicht in Ordnung sein, wo sie doch die Repräsentanten der Ordnung sind? Der Faschismus lebt davon, dass unterdrückte Menschen sich nach der Autorität der gesetzlichen Ordnung richten, auch wenn sie gegen Grundrechte verstößt. In Deutschland verbreitete sich ab 1943 als kollektive Legende die Lebenslüge "Davon haben wir nichts gewusst." Verdrängung und Selbstbetrug waren die Folge der Angst vor Verantwortung für den Holocaust, der nicht möglich gewesen wäre, hätten nicht so viele Menschen ihre Augen vor der Unmenschlichkeit verschlossen. Und heute? Die Masse verlässt sich weiterhin auf ihren Gesetzgeber und macht alles mit, was er von ihr verlangt, um nicht noch mehr getreten zu werden. 

Die Bilanz zur Agenda 2010, die G. Schröder am Schluss seines Jubiläumsvortrages am 14.3.2013 zog, offenbart, worauf es ihm ankam: "Wenn ich gefragt werde, was eigentlich die jedenfalls für mich befriedigendste Folge der Agenda 2010 war, dann würde ich antworten, dass durch die Agenda in diesem Land deutlich geworden ist, dass wenn auch unter großen Schwierigkeiten Reformprozesse nicht nur nötig, sondern auch möglich sind." Mit anderen Worten: Er wollte zeigen, dass er etwas bewegen kann, egal was. Demonstration von Macht durch Zwang, das war seine faschistoide Reform, die in seinen Worten "Top-down" und "unter Zuhilfenahme von Druck" erfolgen musste, um nicht zerredet zu werden.  "Wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen." Mit diesen gesprochenen Worten, die oft falsch zitiert werden, indem aus "fordern" fördern gemacht wird, hatte Schröder die Hartz-IV-Politik am 14.3.2003 in einer Regierungserklärung angekündigt, Worte, die mit der Idee von Sozialdemokratie ebenso wenig vereinbar sind wie mit der Idee der Menschenrechte, und ebenso wenig mit dem Schwur, den er bei seiner Ernennung zum Kanzler leistete: "Ich schwöre, dass ich ... das Grundgesetz ... wahren und verteidigen ... werde." Von Anfang an hatte G. Schröder nur die Absicht, zu fordern, wie das der Umsetzung seiner Hartz-IV-Politik in der Praxis der Jobcenter entspricht. Die angeblichen Förderangebote wie 'Einladungen', 'Arbeitsangebote' und 'Fortbildungsmaßnahmen', die alle unter der Androhung von Sanktionen stehen, dienen nur dazu, die beabsichtigte Forderung konkret zu machen, so dass die Erwerbslosen zu etwas gezwungen, durch Sanktionsdruck erpresst und unter einem Vorwand sanktioniert werden können. Den Erwerbslosen soll das Leben von Arbeitslosengeld ungemütlich gemacht werden, egal ob ausreichend bezahlte Arbeit vorhanden ist oder nicht; das ist die Essenz der Hartz-IV-Politik, Demütigung als Selbstzweck.

Entsprechend überschwänglich äußerte sich der damalige CSU-Chef Stoiber in der Diskussion im Anschluss an Schröders Jubiläumsvortrag vom 14.3.2013: "Stellen Sie sich mal vor, ich als Kanzler hätte als Unions-äh-Kanzler ... diese Positionen und die Reformen durchzusetzen versucht, hätte natürlich - hätten wir nicht nur Montagsdemonstrationen gehabt." Ganz recht! Die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften, die Grünen, alle ehemaligen Reformkräfte wären dagegen Sturm gelaufen. So aber konnte Stoiber sich darüber freuen, dass G. Schröder unter sozialdemokratischer Flagge die Politik einführte, die CDU/CSU und FDP sich gewünscht haben, aber einzuführen nicht geschafft hätten. In den Worten von Wilhelm Reich brauchte es einen Kleinbürger, der um jeden Preis Großbürger werden wollte und dafür bereit war, sich vor deren Karren spannen zu lassen. G. Schröder, der aus gutem Grund den Beinamen "Genosse der Bosse" bekam, konnte als SPD-Kanzler die ehemaligen Reformkräfte einbeziehen und ihnen die Orientierung nehmen, indem er seinen Kurs zum Reformkurs erklärte, egal wo er hinführte. Nicht einmal der Hinweis von Stoiber, dass die SPD gegen die Hartz-IV-Politik Sturm gelaufen wäre, wenn sie die CSU einzuführen versucht hätte, konnte Schröder noch stutzig machen. Vielmehr hat er zustimmend genickt, ohne sich an dieser Bestätigung seines eigenen Verrats der sozialdemokratischen Ideale (Aufhebung der Ausbeutung, Befreiung der Arbeit, Beseitigung sozialer Ungleichheit) zu stören. Denn Bestätigung ist Bestätigung, egal wofür, und darauf kommt es G. Schröder als Medienkanzler a.D. schließlich an. Deshalb sagte er auch schon zwei Tage zuvor in einer Pressekonferenz zum bevorstehenden Jubiläum seiner Agenda 2010: Hauptsache, das Grundprinzip "Fördern und Fordern" bleibe erhalten, dann habe er nichts gegen Änderungen an den Agenda-Gesetzen. Mit anderen Worten: Hauptsache, die Missachtung der Menschenrechte der Erwerbslosen bleibt erhalten, denn das ist das politische Erbe von G. Schröder, darüber hinaus habt ihr freie Hand. Ob ihr die Erwerbslosen fordernd in den Tod hetzt, foltert oder verteilt, könnt ihr frei entscheiden. Hauptsache, der Zwang zum Gehorsam lässt nicht nach, denn davon lebt der Faschismus. Dass Gerhard Schröder nach seiner Abwahl als Regierungschef direkt zur Gasindustrie wechselte, erscheint nun ganz anders verständlich. Die Pipeline aus dem für seine Demokratie gelobten Russland Putins, über die er jetzt Aufsicht führt, wurde nach Deutschland gelegt, um den erwarteten Bedarf an Gerdgas zu decken.  

G Schroeder

Am 17.4.2012 eröffnete der Bundeskanzler a.D. im Brüsseler Büro der Bertelsmann Stiftung eine bilaterale Konferenz Belgien-Deutschland zu den Themen Arbeitsmarkt, Bildung, Sozialpartnerschaft. Dazu schrieb die Bertelsmann Stiftung auf ihrer Internetseite am 19.4.2012: "Altkanzler Schröder machte deutlich, dass die unter seiner Bundesregierung 2003 mit der "Agenda 2010" durchgesetzte Politik des Forderns und Förderns wesentlich dazu beigetragen habe, dass Deutschlands Wirtschaft heute, trotz Krise, so erfolgreich dastehe."

Die Politik des Forderns durch Zwang in Form von Sanktionen in das Existenzminimum verstößt gegen die Grundrechte und damit die freiheitlich demokratische Grundordnung. Deshalb sollte darüber nachgedacht werden, die von der SPD am 25.4.2013 im Bundestag für ein Verbot der NPD vorgebrachten Argumente auf sie selbst zu beziehen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, sagte in der Aussprache zum NPD-Verbotsantrag: "Gegen ihre Feinde dürfen sich Demokraten nicht neutral verhalten. ... Die NPD bekämpft unsere freiheitlich demokratische Grundordnung. Und ein Kernelement dieser freiheitlich demokratischen Grundordnung, die universelle Geltung der Grund- und Menschenrechte, das ist es, was der SPD ganz besonders - äh - sozusagen als Angriffspunkt - äh - vor Augen steht. ... Und ich muss Ihnen sagen, meine Damen und Herren, ich finde es unerträglich, dass solche Parteiaktivitäten immer noch mit Steuergeldern finanziert werden. ... Es geht hier nicht darum, ein paar dumme Gedanken zu verbieten, sondern eine Organisation, eine Partei zu zerschlagen, die darauf ausgerichtet ist, und die dazu beiträgt, dass Menschen in Deutschland angegriffen werden. ... Die Lehre aus der Geschichte zeigt doch, dass man solchen Parteien frühzeitig entgegentreten muss, meine Damen und Herren."

Hat Herr Oppermann damit nicht zugegeben, dass die Geltung der Grund- und Menschenrechte für die SPD einen besonderen Angriffspunkt darstellt? Nichts anderes als ein Angriff auf die Grund- und Menschenrechte ist es, was vorstehend der SPD mit G. Schröder vorgehalten wird, der weiterhin für das Motto "Fördern und Fordern" wirbt, denn sobald dieser Betrug zusammenbricht, steht G. Schröder wegen Körperverletzung mit Todesfolge, Meineid und Volksverhetzung vor Gericht.

Es ist nicht verboten auf andere zu hören, im Gegenteil. In einer Demokratie ist es sogar geboten, andere Meinungen zu hören und anderen Recht zu geben wo sie recht haben. Doch während ein Wirtschaftsunternehmen von Grundrechten reden kann, ohne sich danach zu richten, und allen Teilen des Unternehmens vorschreiben kann, was sie zu tun haben, ist es einer Regierung, die gegenüber dem Volk geschworen hat, das Grundgesetz und damit die Grundrechte zu wahren und zu verteidigen, nicht erlaubt, einer Meinung zu folgen, die die Grundrechte hinter kurzfristigen Profit zurückstellt, und die Öffentlichkeit darüber zu täuschen. Das ist der Unterschied.  

letzte Änderung: 13.9.2013