Hintergrund
Die Hartz-IV-Politik der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Beschäftigungsstrategien der OECD und der Europäischen Union
Deutschland ist seit ihrer Gründung 1961 Mitglied der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris), der Nachfolgeorganisation der OEEC, die 1948 für die Umsetzung des Marshallplanes zum Wiederaufbau Europas nach dem 2. Weltkrieg gegründet worden war. Wie der Name schon sagt, hat sich die OECD, zu der sich ursprünglich 20, aktuell 34 sog. Demokratien weltweit zusammengeschlossen haben, zum Ziel gesetzt, "eine Politik zu fördern, die darauf gerichtet ist, in den Mitgliedstaaten unter Wahrung der finanziellen Stabilität eine optimale Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung sowie einen steigenden Lebensstandard zu erreichen" (aus Art. 1 des Übereinkommens), und zwar, wie es im Vorspann heißt: "Im Hinblick darauf, dass eine starke und blühende Wirtschaft zur Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen, zur Wahrung der persönlichen Freiheit und zur Erhöhung des allgemeinen Wohlstands unerlässlich ist." Jedes Mitgliedsland zahlt einen Anteil am Budget der OECD, den größten Anteil zahlen die USA mit derzeit 22 %, gefolgt von Japan und Deutschland.
1994 einigten sich die Regierungen der Mitgliedstaaten nach zwei Jahrzehnten steigender Arbeitslosigkeit (35 Millionen Arbeitslose in den OECD-Ländern) auf eine "OECD-Beschäftigungsstrategie" (OECD Jobs Strategy), in deren Vorwort vom Generalsekretär festgestellt wurde, dass eine ungenügende Fähigkeit zur Anpassung an Veränderungen die grundlegende Ursache für die Beschäftigungsprobleme in den OECD-Ländern sei. In dem Strategiepapier heißt es dann z.B. unter 1 d: "Die Bereitschaft von Arbeitnehmern, niedrig bezahlte Jobs anzunehmen, hängt zum Teil ab von der relativen Großzügigkeit der Arbeitslosenunterstützung." Auch unter 2 d heißt es: "Ein relativ hoher Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung kann evtl. zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Niedrigere Arbeitslosenunterstützung würde den Arbeitsanreiz erhöhen, würde aber auch zu einem höheren Armutsrisiko führen." Auch die Armutsfalle ist hier beschrieben, in die Niedriglöhner geraten, wenn ihre Arbeitslosenunterstützung gekürzt wird, sobald ihr Arbeitseinkommen steigt. Unter 3 b wird dazu empfohlen, die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung bei Aufnahme eines Teilzeitjobs zu begrenzen. Zu den Politikempfehlungen der OECD-Beschäftigungsstrategie heißt es unter 3 a, dass sie vor dem Hintergrund enger Budgetbeschränkungen (also knapper Kassen) nahezu aller Regierungen erfolgen. Die ausführliche Beschreibung der neun großen Empfehlungen folgt im Teil 3 b. Punkt 1 betrifft z.B. die makroökonomischen Rahmenbedingungen, die zu niedrigeren Zinsen und einem Anstieg der Nachfrage führen sollten; Punkt 2 empfiehlt die Förderung neuer Technologien und Dienstleistungen um neue Nachfrage zu schaffen. Durch Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen soll Markt-getriebenen Institutionen ("market-driven-institutions") der Weg geebnet werden. Punkt 3 empfiehlt die Flexibilisierung der Arbeitszeit; Punkt 4 die Schaffung eines unternehmensgründungs-freundlichen Klimas. Punkt 5 empfiehlt Lohn- und Lohnkostenflexibilität. Bei Mindestlöhnen, wenn sie denn als Anti-Armuts-Strategie eingeführt werden, müsse darauf geachtet werden, dass sie nach Alter und Region differenziert sind. Auch eine Senkung der Lohnnebenkosten wird unter diesem Punkt 5 empfohlen. Unter Punkt 6 findet sich die Empfehlung, Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen sowie befristete Arbeitsverträge zuzulassen, um Zurückhaltung bei Neueinstellungen zu vermeiden. Unter Punkt 7 heißt es, dass die Regierungen sicherstellen sollen, dass Antragsteller auf Arbeitslosenunterstützung ein Interesse behalten, sich um reguläre Beschäftigung zu bemühen. Punkt 8 betrifft die Förderung der Bildung, und unter Punkt 9 schließlich wird den Mitgliedsländern empfohlen, die gesetzliche Arbeitslosenunterstützung auf niedrigem Niveau zu halten, effektive Anspruchsprüfungen vorzunehmen und passive Einkommensunterstützung durch Aktivierungsprogramme zu ersetzen. Arbeitsfähige sollen restriktiven Bedingungen für unbegrenzten Bezug von Arbeitslosenunterstützung unterworfen werden, und längerfristige Arbeitslosenunterstützung soll von der Teilnahme an aktiven Arbeitsmarktprogrammen abhängig sein. In die Finanzierung der Arbeitslosenunterstützung sollen die Kommunen mit einbezogen werden, damit sie zu Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit motiviert werden.
1996 war die Arbeitslosigkeit weiterhin hoch, und die aktivierenden Arbeitsmarktstrategien wurden verschärfend überarbeitet im Sinne von Kontrollen der Verfügbarkeit und der Eigenbemühungen, die erfüllt sein müssen um Arbeitslosenunterstützung zu erhalten. In Deutschland spiegelt sich das mit der Meldepflicht und den 'Eingliederungsvereinbarungen' in den späteren Hartz-Gesetzen wider.
2006 erfolgte dann eine komplette Neubeurteilung der OECD-Beschäftigungsstrategie unter dem Titel Boosting Jobs and Incomes ... bzw. auf Deutsch: Mehr Arbeitsplätze, höhere Einkommen - Politiklektionen aus der Neubeurteilung der OECD-Beschäftigungsstrategie. Auf Seite 10 heißt es: Hohe und langandauernde Unterstützungszahlungen bei Arbeitslosigkeit und sonstiger Inaktivität bergen tatsächlich die Gefahr einer Untergrabung der Arbeitsmarktleistung. Neue Daten deuten aber auch darauf hin, dass aktive Arbeitsmarktprogramme, wenn sie gut ausgestaltet und effektiv eingesetzt werden, zu einem Ausgleich dieser leistungshemmenden Effekte beitragen können und die Wiederbeschäftigungschancen der Arbeitslosen verbessern, bei gleichzeitigem Erreichen sozialer Ziele.
Unter der Überschrift Mutual obligations bzw. in der deutschen Übersetzung Das Konzept der gegenseitigen Verpflichtungen (Fördern und Fordern) heißt es dann: "Durch Kürzung von Leistungen und Anspruchsdauer ist es gelungen, die Arbeitsanreize zu erhöhen, über bestimmte Schwellenwerte hinaus können hierdurch aber soziale Ziele gefährdet werden."
Die Gefährdung sozialer Ziele durch die OECD-Beschäftigungsstrategie - von Grundrechten gar nicht zu sprechen - war und ist dieser Organisation also bewusst, wird jedoch in Kauf genommen.
Auf Seite 10 des Strategiepapiers von 2006 wird dann das Fördern und Fordern beschrieben, wenn es heißt: "In einigen Ländern hat eine Strategie von "gegenseitigen Verpflichtungen" eine zentrale Rolle gespielt bei der Mobilisation von Arbeitskräften. Regierungen haben sich verpflichtet, Jobsuchenden effektive Wiederbeschäftigungs-Dienstleistungen zu bieten, Beratung, Training und finanzielle Anreize, um ihnen das Finden einer Arbeitsstelle zu ermöglichen - das ist die Rechte-Seite dieses Ansatzes. Die Leistungsempfänger ihrerseits mussten aktive Schritte zur Stellensuche oder zur Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit unternehmen, andernfalls riskierten sie moderate Leistungs-Sanktionen - das ist die Pflichten-Seite dieses Ansatzes."
Das Beispiel von Deutschland kann damit nicht gemeint sein, denn hier kann von moderaten Leistungs-Sanktionen nicht die Rede sein, nachdem die Sanktionen bei einem Verstoß gegen die 'Pflichten' bis zur Totalsanktionierung reichen und damit der völligen Mittellosigkeit und Zerstörung der Lebensgrundlage ausliefern.
Aus dem Strategiepapier geht hervor, dass die 1994 empfohlene Beschäftigungsstrategie in den verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich umgesetzt wurde. Auf Seite 19 f heißt es deshalb auch: "Es führen mehrere Wege zum Erfolg ... In der jüngeren Vergangenheit haben sich zwei Arten von Maßnahmepaketen als erfolgreich erwiesen: Mehrere erfolgreiche Länder kombinieren ein geringes Sozialleistungsniveau mit einem niedrigen Steuerniveau zur Finanzierung dieser Leistungen wie auch einem schwach ausgeprägten Beschäftigungsschutz. Tarifverträge spielen in diesen Ländern eine untergeordnete Rolle. Das Resultat sind hohe Beschäftigungsquoten, deren Erzielung für die Staatskasse nur mit geringen Kosten verbunden ist, aber auch relativ große Einkommensungleichheiten. Andere erfolgreiche Länder legen großes Gewicht auf koordinierte Tarifverhandlungen sowie sozialen Dialog und bieten großzügige Sozialleistungen, "aktivieren" die Arbeitsuchenden aber im Gegenzug durch Weiterbildungsangebote und sonstige aktive Arbeitsmarktprogramme. In diesen Ländern ist der Beschäftigungsschutz strenger als in der vorgenannten Ländergruppe. Sie erzielen hohe Beschäftigungsniveaus bei zugleich geringer Einkommensungleichheit, was jedoch mit hohen budgetären Kosten verbunden ist."
Die Neuausrichtung der OECD-Beschäftigungsstrategie erfolgte 2006 in vier Säulen. Für die Diskussion um die Hartz-Gesetze ist die zweite Säule (B) relevant. Hier ist unter Punkt 1 weiterhin davon die Rede, dass die Arbeitslosenunterstützung entweder auf einem niedrigen Niveau angesetzt oder von strikt einzuhaltenden Kriterien der Arbeitsbereitschaft abhängig gemacht werden sollte. Auch "moderate Sanktionen" in Form von Leistungskürzungen sollten Teil der Aktivierungsstrategie sein. Deutschland schießt mit Hartz IV über diese, von der OECD 2006 noch als sinnvoll erachteten Maßnahmen, weit hinaus, indem hier nicht nur moderat, sondern maßlos sanktioniert wird, und zwar in das Existenzminimum. Man denke nur an die Erfolgsmeldungen der Arbeitsministerin v.d.L., die regelmäßig neue Sanktionsrekorde verkündet und auf diese Weise mit Menschenrechtsverletzungen prahlt. Diese von der Regierung Schröder eingeführte Arbeitsmarktpolitik ist nur als wieder erwachte Gewohnheit aus der braunen Vergangenheit dieses Landes erklärbar, die ihre Bestätigung darin fand, die Menschenrechte anderer mit Füßen zu treten, um sich narzisstisch zu profilieren. Die deutsche Arbeitsmarktpolitik kann nicht einmal mit der marktorientierten OECD-Beschäftigungsstrategie gerechtfertigt werden. Die OECD entlastet sich auch insofern, als am Schluss, auf Seite 25 der Neubeurteilung von 2006 steht: "Die neu formulierte Strategie wird in einer Weise umgesetzt werden müssen, die mit dem institutionellen Rahmen und den Praktiken der jeweiligen Länder in Einklang steht." Die Regierung Schröder hat, ebenso wie die Nachfolgeregierung, vergessen, dass dieser institutionelle Rahmen, dem die OECD die Arbeitsmarktstrategie anzupassen mahnt, in Deutschland nicht mehr der des Dritten Reiches ist, sondern der des Grundgesetzes, auf das die Regierungen einen Eid geleistet haben, aus dem sie der Bevölkerung zur Wahrung und Verteidigung der Grundrechte verpflichtet sind. Die Grundrechte wurden an den Anfang des Grundgesetzes gesetzt, damit sie nicht wieder so leicht übersehen werden. Art. 1 Abs. 3 besagt zudem: "Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." Doch leider hat sich das als frommer Wunsch erwiesen, nicht stark genug, um dem latent allgegenwärtigen Faschismus im Sinne Wilhelm Reichs Einhalt zu gebieten (siehe dazu den Beitrag "Fördern und Fordern?" im Menü der Grundrechtsschutz-Initiative).
In der deutschen Zusammenfassung des OECD-Beschäftigungs-Ausblicks von 2006 heißt es auf Seite 2: "Wirkungsvolle Aktivierungsmaßnahmen können von öffentlichen und privaten Arbeitsvermittlungsdiensten durchgeführt werden und funktionieren nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche, damit gesichert ist, dass die Arbeitslosen bei ihren Bemühungen um eine neue Anstellung angemessen unterstützt werden und ihrerseits aktiv nach einer neuen Stelle suchen." Die niederländische Ausgabe dieser Zusammenfassung spricht an dieser Stelle nicht von Zuckerbrot und Peitsche, sondern von einer Kombination von Stimulierung und Zwang, was die Sache wohl besser trifft. Doch auch da muss man fragen, wozu noch stimuliert werden soll, wenn doch gezwungen wird. Der Zwang durch die Sanktionsdrohungen überlagert jede Stimulierung. Im Gegensatz zum Zirkuspferd, das stimulierend belohnt wird, wenn es den Zwang angenommen hat, dient in der Beschäftigungsstrategie der Zwang dazu, dass die sogenannte Stimulierung angenommen wird, und das offenbart ihre verlogene Qualität. Wo die Absicht zu zwingen besteht, dient die Stimulierung nicht dem Betroffenen, sondern dem Zwang, mit dem vorgeschrieben wird, was zu tun ist.
In der Zusammenfassung des OECD-Beschäftigungs-Ausblicks von 2007 rückte die OECD von ihren bisherigen Empfehlungen ab, denn dort heißt es nunmehr auf Seite 3: "Eine großzügigere Arbeitslosenunterstützung kann die Produktivität erhöhen, indem sie den Arbeitslosen hilft, ihren Qualifikationen entsprechende Arbeitsplätze zu finden, und indem sie die Schaffung von Arbeitsplätzen mit geringer Sicherheit, aber hoher Produktivität fördert." Es wird dann auf Seite 6 -7 ganz unschuldig gefragt: Was unternehmen die Länder zur Aktivierung der Arbeitslosen? ... Wie werden solche Strategien umgesetzt? ... Wenngleich noch weitere Forschungsarbeiten durchgeführt werden müssen, ist doch klar erkennbar, dass sich die Vorgehensweisen in diesem Bereich stark unterscheiden. ... Insgesamt nehmen Betreuung und Kontrolle (englisch "monitoring") der Arbeitslosen zu. Dies dürfte eine raschere Wiedereingliederung in Beschäftigung fördern, kann aber auch eine Kehrseite haben: Die Arbeitsuchenden sehen sich u. U. gezwungen, Arbeitsplätze anzunehmen, für die sie nicht geeignet sind. ... Abschließend ist noch festzustellen, ... dass nur wenige Länder der OECD-Empfehlung gefolgt sind, die Teilnahme an solchen Programmen zur Pflicht zu machen. Die Länder mögen gute Gründe haben, diese Entscheidungen den einzelnen Arbeitsberatern zu überlassen."
Wenn wir nun noch einen Sprung in den OECD-Beschäftigungs-Ausblick 2012 machen, dann wird vollends deutlich, wie kriminell die deutsche Sanktionspolitik gegenüber Erwerbslosen ist. In der deutschsprachigen Zusammenfassung auf Seite 2 heißt es zur Situation: "In den OECD-Ländern liegt die Arbeitslosenquote weiterhin knapp unter ihrem Nachkriegshoch von 8,5 %, und sie wird voraussichtlich auch in den kommenden Jahren hoch bleiben. Etwa 48 Millionen Personen haben keine Beschäftigung, das sind ungefähr 14,5 Millionen mehr als vor Ausbruch der Finanzkrise Ende 2007. ... Die Langzeitarbeitslosen machen inzwischen mehr als ein Drittel aller Arbeitslosen im OECD-Raum aus. Der Anteil der entmutigten Arbeitsuchenden, die die Erwerbsbevölkerung verlassen, ist ebenfalls erheblich gestiegen. Zudem hat die Jugendarbeitslosigkeit in einigen Ländern ein gefährlich hohes Maß erreicht."
Mit anderen Worten, es braucht 15 Millionen neue Jobs, um nur das Beschäftigungsniveau von vor der Finanzkrise wieder zu erreichen. Ohne die Verfügbarkeit dieser Jobs ist jeder Druck auf Erwerbslose ein Verbrechen, und wenn genügend Jobs oder Möglichkeiten zur Unternehmensgründung vorhanden sind, erübrigt sich jeder künstliche Druck auf Erwerbslose ohnehin. Doch in der menschenverachtenden Pseudologie von G. Schröder sind 14,5 Millionen Menschen mit der Finanzkrise schlagartig zu Faulenzern geworden, weshalb dieser Bundeskanzler a.D. durch Europa reist und für die von ihm eingeführte Politik des Forderns weiterhin wirbt. Um 14,5 Millionen Jobs oder ein Äquivalent dafür zu schaffen, braucht es jedoch keine faschistoide Politik des Forderns, das sollte eine nüchterne Betrachtung der Ergebnisse dieser Politik mittlerweile jedem vor Augen führen, vielmehr braucht es ein neues Geldsystem, und zwar ein Geldsystem ohne Banken, GOB! Das herrschende System muss profitorientiert sein um überleben zu können und veranlasst dadurch alle von ihm Abhängigen, nach Profitmaximierung zu streben, damit Zinsen und Gebühren an die Banken gezahlt werden können. Dieser Preisaufschlag auf das Geld ist das, was die Wirtschaft zum Wachstum zwingt. Es reicht nicht, zurückzugeben, was man bekommen hat. Der Geldverleiher will mehr, und dieses Mehr setzt alle unter Druck, die Geld benötigen. Auch sie müssen mehr wollen, und so pflanzt sich ein Mehrwollen, das nichts mit höherem Streben zu tun hat, fort und erzeugt den Stress in unserer Gesellschaft. Der Stress setzt sich bei denen fest, die nicht gefragt werden, was sie wollen, sondern immer mehr sollen. Wer meint, der Zwang zum Wirtschaftswachstum käme dem allgemeinen Wohlstand zugute, der täuscht sich, denn der zinsbedingte Zwang zum Wirtschaftswachstum führt zu rücksichtsloser Ausbeutung, zu Erpressung, Betrug, Diebstahl, Korruption, Mord und Krieg, um nur einige der im Grunde zinsbedingten Verbrechen zu nennen. Zählt man die Folgen von Stress hinzu, so kann man die allermeisten Verbrechen, und nicht zuletzt auch die Umweltzerstörung, auf den Preisaufschlag zurückführen, ohne den die Banken nicht existieren können. Dieses System, das Geld als Ware ansieht, ist nicht imstande, eine bedarfsdeckende Versorgung mit finanziellen Mitteln für alle zu gewährleisten, weil Unzählige, die dringend Geld benötigen, das geforderte Mehr nicht aufbringen können. Eine bedarfsdeckende Versorgung war deshalb auch nie die Absicht des Bankensystems und liegt außerhalb seines Wesens. Zur Wahrung der Menschenrechte jedoch - bis hin zum Recht auf freiwillige Arbeit im Sinne der Europäischen Sozialcharta - ist eine bedarfsdeckende Versorgung genau das, was wir brauchen. Hätte sich der Staat nicht verschuldet, um für die Unzulänglichkeit des Bankensystems teilweise einzuspringen, wäre die Situation schon viel früher untragbar geworden. Jetzt jedoch, wo der Staat ebenfalls in der finanziellen Zwickmühle hängt, aufgrund seiner Überschuldung weder vor noch zurück weiß und sich weiterer Verschuldung entgegenzustellen versucht, wo ganze Staaten zahlungsunfähig zu werden drohen und deshalb wie Ramsch bzw. Abschaum behandelt werden, würde dieses kapitalistische System zusammenbrechen, wenn sich die Regierungen nicht darauf verständigt hätten, es zu erhalten, egal was es kostet. Die Vereinbarung eines Bankenrettungsfonds in praktisch unbegrenzter Höhe offenbart nicht nur, wie abhängig die Regierungen sich von den Banken fühlen, sondern auch, was die Regierungen für die Bürger und ihre Grundrechte tun könnten, wenn sie diese als systemrelevant ansehen würden. Die Priorität des Banken- und Zinssystems ist zwar nichts Neues, doch die Wenigsten denken darüber nach, wie es unseren Alltag bestimmt. Wenn wir z.B. ins Bürgerliche Gesetzbuch schauen, so finden wir in § 367 über die Erfüllung von Schuldverhältnissen: "Hat der Schuldner außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten zu entrichten, so wird eine zur Tilgung der ganzen Schuld nicht ausreichende Leistung zunächst auf die Kosten, dann auf die Zinsen und zuletzt auf die Hauptleistung angerechnet." Das bedeutet, dass ein Schuldner u.U. jahrelang Raten zahlt, ohne dass sich an der Hauptforderung etwas ändert, weil die Zahlung von Zinsen und Kosten Priorität hat vor der Entschuldung. Da Zinsen anfallen, solange die Hauptforderung nicht getilgt ist, hält diese gesetzliche Priorität der Zinsen vor der Tilgung die Betroffenen möglichst lange in Abhängigkeit. Bei Ausbleiben der Zinszahlung kann der Geldgeber den Schuldner mit der Fälligstellung der Hauptforderung erpressen, und der Staat leiht ihm dazu auch noch den "langen Arm des Gesetzes." Das ist die zinsbedingte Ausbeutung. Sie schlägt aus der Not Profit und ist mit den Menschenrechten unvereinbar. Ein 'Schuldner', der nur kleine Raten aufzubringen vermag (wie z.B. auch der Staat selbst), kommt von seiner 'Schuld' je nach Höhe der Zinsen u.U. nie los, zahlt die Zinsen womöglich mit neuen Schulden und gerät so immer tiefer in die zinsbedingte Abhängigkeit, in der von Souveränität keine Rede mehr sein kann. Wegen dieser prinzipiellen Ungerechtigkeit des Zinssystems, das Freiheit zu einem Privileg macht, sich der Chancengleichheit in den Weg stellt und die Verwirklichung des Menschenrechts auf Freiheit verhindert, muss ganz klar gesagt werden: Wachstum braucht keine Banken, vielmehr behindern die Banken gesundes Wachstum. Systemrelevant sind Banken nur für das Bankensystem, dem wir den Stress zu verdanken haben, nicht jedoch für ein bedarfsgerechtes System zur finanziellen Versorgung der menschlichen Entfaltung im Sinne von Art. 2 des Grundgesetzes: "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit."
Nach 18 Jahren OECD-Beschäftigungsstrategie ist es höchste Zeit, die Statistik zu fragen, was die Strategie der OECD gebracht hat. Ihre Aufgabe, Arbeitslosigkeit zu reduzieren, wird gemessen an der Zahl der nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als arbeitslos geltenden Menschen im Verhältnis zur arbeitsfähigen Zivilbevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren. Die Entwicklung dieser OECD-Arbeitslosenquote kann z.B. der Tabelle "Harmonised unemployment rates in OECD countries" auf Seite 222 des OECD Employment Outlook 2012 mit folgenden Zahlen entnommen werden:
1991: 6,5 %, 1995: 7,3 %, 2000: 6,1 %, 2001: 6,3 %, 2002: 6,9 %, 2003: 7,0 %, 2004: 6,9 %, 2005: 6,6 %, 2006: 6,1 %, 2007: 5,6 %, 2008: 6,0 %, 2009: 8,1 %, 2010: 8,3 %, 2011: 8,0 %.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ab 6 Monaten Arbeitslosigkeit hat sich von 1995 bis 2011 von 49,3 % auf 48,4 % der Gesamtzahl Arbeitsloser 'entwickelt', und die Quote der Langzeitarbeitslosen ab 12 Monaten Arbeitslosigkeit hat es von 33,5 % 1995 auf 33,6 % 2011 geschafft. Alles in allem ein Ergebnis der 'aktivierenden' Beschäftigungsstrategie nach 18 Jahren, das zeigt, dass eine Arbeitsmarktpolitik, die Rücksicht auf die Menschenrechte nimmt, und nicht die Menschen, sondern das Geldsystem fordert, im Gegensatz zu dem Aktivismus der derzeitigen Beschäftigungsstrategie alle Chancen hätte, ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen und den Menschen Arbeit zu ermöglichen im Einklang mit ihren Grundrechten.
OECD
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EU
In der Europäischen Union fiel der Startschuss für eine Europäische Beschäftigungsstrategie 1997. Auffallend daran ist aus der Sicht von Hartz IV, dass sie aus reinen Fördermaßnahmen besteht. Die Mitgliedstaaten sollen sich gemeinsame Ziele vorgeben, die von den 4 Pfeilern Beschäftigungsfähigkeit, Unternehmergeist, Anpassungsfähigkeit und Chancengleichheit getragen werden. Mit dem Vertrag von Amsterdam vom Oktober 1997 wurde der Vertrag über die Europäische Union neu gefasst, und in den Artikeln 125-130 wurde das Thema Beschäftigung eingefügt, ergänzt durch einen neuen Erwägungsgrund in Art. 1 mit folgendem Wortlaut: "IN BESTÄTIGUNG der Bedeutung, die sie den sozialen Grundrechten beimessen, wie sie in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta und in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind, ..." Damit war gesagt, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten ihre Beschäftigungspolitik nach der Europäischen Sozialcharta ausrichten sollten, die in ihrer Fassung von 1961 auch von Deutschland verbindlich unterzeichnet wurde, in ihrer revidierten Fassung von 1996 aber bezeichnenderweise noch immer nicht ratifiziert ist.
Beide Fassungen der Europäischen Sozialcharta enthalten in Art. 1 ein Recht auf Arbeit: "Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Arbeit zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, 1. zwecks Verwirklichungn der Vollbeschäftigung ... 2. das Recht des Arbeitnehmers wirksam zu schützen, seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen ... 4. eine geeignete Berufsberatung, Berufsausbildung und berufliche Wiedereingliederung sicherzustellen oder zu fördern." Es folgt das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen, auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, und in Art. 4 auf gerechtes Arbeitsentgelt: Die Vertragsparteien verpflichten sich, "das Recht der Arbeitnehmer auf ein Arbeitsentgelt anzuerkennen, welches ausreicht, um ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern. ... Die Ausübung dieser Rechte ist durch frei geschlossene Gesamtarbeitsverträge, durch gesetzliche Verfahren der Lohnfestsetzung oder auf jede andere, den Landesverhältnissen entsprechende Weise zu gewährleisten." Um die wirksame Ausübung des Rechtes der Kinder und Jugendlichen auf Schutz zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien in Art. 7, ... "die Beschäftigung Schulpflichtiger mit Arbeiten zu verbieten, die verhindern würden, dass sie aus ihrer Schulausbildung den vollen Nutzen ziehen." In Art. 8 folgt der spezielle Schutz für Arbeitnehmerinnen, und in Art. 11 der allgemeine Schutz der Gesundheit, d.h. Maßnahmen zu ergreifen, die u.a. darauf abzielen, "soweit wie möglich die Ursachen von Gesundheitsschäden zu beseitigen." Wenn man an die Zunahme der psychischen Erkrankungen sowohl von Erwerbstätigen wie von Erwerbslosen unter dem Hartz-IV-Regime denkt, wird offensichtlich, dass die Regierungspolitik sich nicht an den Zielen der Europäischen Sozialcharta orientiert. Art. 12 enthält das Recht auf soziale Sicherheit. Darin verpflichten sich die Vertragsparteien, "ein System der Sozialen Sicherheit einzuführen oder beizubehalten, das System der Sozialen Sicherheit auf einem befriedigenden Stand zu halten ..., sich zu bemühen, das System der Sozialen Sicherheit fortschreitend auf einen höheren Stand zu bringen ..." Art. 13 gewährt ein Recht auf Fürsorge und verpflichtet die Vertragsparteien, "1. sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen, insbesondere durch Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit verschaffen kann, ausreichende Unterstützung gewährt wird und im Falle der Erkrankung die Betreuung, die seine Lage erfordert; 2. sicherzustellen, dass Personen, die diese Fürsorge in Anspruch nehmen, nicht aus diesem Grunde in ihren politischen oder sozialen Rechten beeinträchtigt werden." Art. 14 enthält das Recht auf Inanspruchnahme sozialer Dienste. Die Vertragsparteien verpflichten sich, Dienste zu fördern oder zu schaffen, die unter Anwendung der Methoden der Sozialarbeit zum Wohlbefinden und zur Entfaltung des Einzelnen und der Gruppe innerhalb der Gemeinschaft beitragen." In der revidierten Fassung der Sozialcharta von 1996 wurden die Sozialen Rechte noch erweitert. So enthält Art. 26 z.B. das Recht auf Würde am Arbeitsplatz, und Art. 30 das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung: Die Vertragsparteien verpflichten sich, "im Rahmen eines umfassenden und koordinierten Ansatzes Maßnahmen zu ergreifen, um für Personen, die in sozialer Ausgrenzung oder Armut leben oder Gefahr laufen, in eine solche Lage zu geraten, sowie für deren Familien den tatsächlichen Zugang insbesondere zur Beschäftigung, zu Wohnraum, zur Ausbildung, zum Unterricht, zur Kultur und zur Fürsorge zu fördern." Schließlich gibt es in Art. 31 auch noch ein Recht auf Wohnung: Die Vertragsparteien verpflichten sich, "den Zugang zu Wohnraum mit ausreichendem Standard zu fördern, der Obdachlosigkeit vorzubeugen und sie mit dem Ziel der schrittweisen Beseitigung abzubauen." Art. E enthält noch ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot, und Artikel H lässt innerstaatliches Recht nur in Kraft, wenn es den geschützten Personen eine günstigere Behandlung einräumt als die Bestimmungen der Europäischen Sozialcharta. Sie ist damit als soziales Mindestmaß für Europa gedacht.
Obwohl das Grundgesetz der BRD in Art. 25 ausdrücklich besagt: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes," ist in Deutschland nichts von der Geltung der Europäischen Sozialcharta zu merken. Deutschland verstößt nicht nur in vielfältiger Hinsicht gegen diese Charta, sondern verpestet mit seiner faschistoiden Politik auch noch die Europäische Union.
Es gäbe keine Europäische Union, wenn der mit G. Schröder wieder durchgeschlagene Faschismus (im Sinne Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus) die Europäische Gesetzgebung bestimmt hätte. Jetzt, wo man die Europäische Union hat und ihr eine friedliche Entwicklung verdankt, ist die entscheidende Frage, ob sie die Grundrechte wahren kann, die sie bislang von Wirtschaftsorganisationen unterscheidet, oder ob sie sich den sog. Marktkräften unterwirft und als Hebel einer Finanzdiktatur missbrauchen lässt.
Im Vertrag von Amsterdam wurde 1997 die regelmäßige Erstellung von beschäftigungspolitischen Leitlinien vereinbart, deren Einhaltung jährlich durch den Rat der Europäischen Union überprüft werden sollte. In den Leitlinien für das Jahr 2000 ist ein Übergang von passiven zu aktiven Maßnahmen vorgesehen, um Arbeitslosen Anreize zu bieten, sich um Arbeit oder um die Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit zu bemühen. Von Zwang als Reiz ist jedoch keine Rede. In den Leitlinien für 2002 heißt es unter Punkt A: "Es müssen mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und entsprechende Arbeitsanreize für alle an einer Erwerbstätigkeit interessierten Personen geschaffen werden, um dem Ziel der Vollbeschäftigung näher zu kommen." Dazu werden nationale Zielvorgaben empfohlen entsprechend den Zielvorgaben für Europa: Eine Frauenbeschäftigungsquote von 57 % und eine Gesamtbeschäftigungsquote von 67 % bis zum Jahr 2005. Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass z.B. allen arbeitslosen Erwachsenen innerhalb von zwölf Monaten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Neuanfang ermöglicht wird. Unter I.2 heißt es: "Jeder Mitgliedstaat wird sein Sozialleistungs- und Steuersystem überprüfen und gegebenenfalls reformieren, um Armutsfallen zu beseitigen und Arbeitslosen und Nichterwerbstätigen Anreize zu bieten, sich um Arbeit oder Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit zu bemühen und entsprechende Angebote wahrzunehmen, und den Arbeitgebern Anreize zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen zu bieten. Im Hartz-IV-Deutschland bedeutet ein Anreiz für Arbeitgeber, dass sie finanzielle Zuschüsse erhalten, während ein Anreiz für Nichterwerbstätige darin gesehen werden soll, dass sie mit Sanktionen bedroht werden. Was ist daraus zu ersehen? Unter I.7 der europäischen Leitlinie heißt es: "Jeder Mitgliedstaat wird - alle Formen der Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt ... ermitteln und bekämpfen; - auf wirksame präventive und aktive Maßnahmen setzende Konzepte zur Förderung der Eingliederung ... in den Arbeitsmarkt entwickeln, um Marginalisierung, die Entstehung von Armut trotz Arbeit und ein Abdriften in die Ausgrenzung zu vermeiden." Die Hartz-Politik der Bundesregierungen ab 2002 hat aber das genaue Gegenteil getan: Sie hat die Diskriminierung verstärkt, die Entstehung von Armut trotz Arbeit gefördert und die Ausgrenzung von Millionen Erwerbslosen betrieben.
Die europäischen Leitlinien von 2003 empfehlen unter Punkt 12 die Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Flexibilität (engl. flexibility) und Sicherheit (engl. security), was dann mit dem Kunstwort "Flexicurity" bezeichnet wird. Unter Punkt 18 heißt es, die Erwerbseinkommen auf der einen Seite und die Einkommen bei Nichterwerbstätigkeit auf der anderen Seite sollten in einem Verhältnis zueinander stehen, das den Menschen Anreize zum Eintritt und zum Verbleib im Arbeitsmarkt bietet. Zu den aktiven Massnahmen für Arbeitslose heißt es unter 1.a: Die Mitgliedstaaten werden sicherstellen, dass die Bedürfnisse aller Arbeitssuchenden in einem Frühstadium ihrer Arbeitslosigkeit ermittelt werden und ihnen Dienstleistungen wie Beratung, Unterstützung ... zur Verfügung stehen. Auch diese Leitlinien nehmen also Rücksicht auf die Freiwilligkeit, so dass sie ein Fördern darstellen und keinen Zwang. Unter 1.8 heißt es dementsprechend: "Die Mitgliedstaaten werden ihre finanziellen Anreizmechanismen neu gestalten, um Arbeit attraktiver zu machen und Frauen und Männer zu ermutigen, Arbeit zu suchen." In diesem Zusammenhang sollten sie Strategien entwickeln, "um den Anteil der erwerbstätigen Armen zu reduzieren." Die Hartz-IV-Politik in Deutschland trägt weder zur Ermutigung bei, noch zur Verringerung der Armut trotz Arbeit. Seit Jahren ist das bekannt, und doch erfolgt keine Änderung der Arbeitsmarktpolitik, die Ermutigung mit Erniedrigung verwechselt und unter einem Diktat zu stehen scheint, das die Wirkung dieser Politik bestenfalls ignoriert. Was Deutschland entsprechend den europäischen Leitlinien getan hat, ist die Einbeziehung von Interessengruppen, um eine umfassende Partnerschaft für den Wandel zu etablieren. Doch unter dem Druck von quantitativen Zielvorgaben bei engem Budget bleibt die Qualität des Wandels auf der Strecke; sie läuft in Deutschland auf eine umfassende Partnerschaft für den Rückbau der Menschenrechte hinaus.
In der Leitlinie Nr. 18 heißt es 2005: "Die Anhebung des Beschäftigungsniveaus ist das wirksamste Mittel, Wirtschaftswchstum zu generieren und die Wirtschaftssysteme unter Wahrung eines ausreichenden Sicherheitsnetzes für die erwerbsunfähigen bzw. erwerbslosen Personen sozial integrativ zu gestalten." Hier wird eine integrative Gestaltung der sozialen Sicherheitsnetze abhängig gemacht vom Wirtschaftswachstum, mit dem man einen Zuwachs an verfügbarem Geld verbindet. Das verfügbare Geld vom Wirtschaftswachstum abhängig zu machen, wo das Wirtschaftswachstum vom verfügbaren Geld abhängig ist, kann aber keinen Beitrag zur sozialen Integration leisten, sondern trägt vielmehr dazu bei, dass sich die Schere zwischen Reichen, die investieren können, und Armen, die nicht investieren können, immer mehr öffnet. Jeder weiß, dass Wirtschaftswachstum nur mit Geld möglich ist, ebenso wie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Ohne ein menschenfreundliches Geldsystem aber, das Geld dort verfügbar macht, wo es die Menschen für ihre Entfaltung benötigen, erfolgt keine Integration, sondern die Reichen werden hofiert und die Armen werden getreten. Das Geld steht heute nicht dort zur Verfügung, wo es für die Wahrung der Grundrechte erforderlich ist. Daran kann auch eine Steuererhöhung für Reiche nichts wesentlich ändern, denn das ganze System ist auf Profit und nicht auf Bedarfsdeckung ausgelegt. Bislang will jedoch keine Regierung dieses System in Frage stellen, das die Masse der Menschen so grandios in Knechtschaft hält, dass sie meinen, das müsse so sein. Es muss nicht! Freiwillige Arbeit und Wohlstand für alle wird es geben, sobald Geld automatisch dorthin gelangt, wo Bedarf ist, und das ist mit einem bargeldlosen Verrechnungssystem jederzeit möglich, das parallel zum Bankensystem eingeführt werden kann, bis sich Letzteres erübrigt.
Die beschäftigungspolitische Leitlinie 2005, die z.B. auch Zielvorgaben für die Zahl der Betreuungsplätze für Kleinkinder enthält, fordert von den Mitgliedstaaten, mehr in Humankapital durch Bildung und Qualifizierung zu investieren. Damit sind sicher nicht die endlosen Bewerbungstrainings des Hartz-IV-Systems gemeint, die nur dazu dienen, die Erwerbslosen aus der Arbeitslosenstatistik herausrechnen und mit einem Rückgang der Arbeitslosenzahlen prahlen zu können. Im Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit vom April 2013 steht unverblümt: "Über 50 % der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten haben den Status "nicht arbeitslos"." Das heißt: Von 4,445 Millionen erwerbsfähigen Beziehern von Arbeitslosengeld II werden im April 2013 nur 2,0 Millionen als Arbeitslose gezählt! Wenn das keine Täuschung der Öffentlichkeit ist ... Nicht ohne Grund wird diese Statistik der Grundsicherung von der Bundesagentur "grusi" genannt.
2008 wurden die Leitlinien von 2005 bestätigt und weiter detailliert. Dabei erfolgte eine Betonung der sozialen Ziele, die durch den "Flexicurity-Ansatz" gefördert werden sollten. Die Mitgliedstaaten wurden "dazu angehalten, die sozialen Auswirkungen ihrer Reformen zu verfolgen." Diesen Satz scheint man in der deutschen Regierung, soweit die Leitlinien überhaupt gelesen wurden, übersehen zu haben, wie auch den Absatz, in dem es laut Amtsblatt der Europäischen Union vom 26.7.2008 heißt: "Entscheidend für den Fortschritt sind auch die Faktoren Chancengleichheit und Diskriminierungsbekämpfung. Die durchgängige Berücksichtigung der Geschlechterperspektive und die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter sollten bei allen Maßnahmen berücksichtigt werden." Damit ist nicht vereinbar, dass in Deutschland Partnerschaften mit Hartz-IV-Empfängern zu Bedarfsgemeinschaften herabgewürdigt werden, bei denen der eine Teil, sozusagen als Vorstand, Anspruch auf den vollen Regelsatz hat, während der Anspruch des anderen Teils, meist der Partnerin, herabgesetzt wird. Menschenrechte sind individuelle Rechte, die die individuelle Unabhängigkeit schützen sollen. Auch mit der Förderung der sozialen Eingliederung, wie sie sich die EU zum Ziel gesetzt hat, ist es nicht vereinbar, dass Erwerbslosen das Arbeitslosengeld gekürzt wird, sobald sie sich zu einer Lebensgemeinschaft verbinden. Diese diskriminierende Geizkragenpolitik zerstört die Motivation, die Verbesserung der eigenen Situation selbst in die Hand zu nehmen. Wenn die Regierung den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern möchte, wie das zu ihren Aufgaben gehört, muss sie die Vorteile eines Zusammenschlusses den Betroffenen belassen, anstatt kurzsichtig eine Einsparung für die Staatskasse daraus machen zu wollen.
Zu Leitlinie 18 heißt es 2008, es soll sichergestellt werden, "dass sich Arbeit für alle Erwerbstätigen lohnt und dass Arbeitslosigkeits-, Armuts- und Erwerbslosigkeitsfallen beseitigt werden." Auch diesen Satz ignoriert die deutsche Regierung und gibt stattdessen einer kurzsichtigen Niedriglohnpolitik den Vorzug, mit der nichts besser gefüllt wird, als die genannten drei Fallen. Unter Leitlinie 19 wird ebenfalls ungehört dazu aufgefordert, die in den Steuer- und Sozialleistungssystemen enthaltenen Anreize laufend zu überprüfen und ein angemessenes Sozialschutzniveau zu gewährleisten. Und über das Humankapital heißt es 2008 unter Leitlinie 20: "Um für Frauen und Männer aller Altersgruppen den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern, das Produktivitätsniveau anzuheben und Innovation und Qualität am Arbeitsplatz zu erhöhen, muss die EU mehr und effektiver in Humankapital und in lebenslanges Lernen investieren." Dazu passt es wie die Faust aufs Auge, dass in Deutschland jeder Erwerbslose, unabhängig von seiner Qualifikation, nach fünf Jahren Erwerbslosigkeit von den 'Jobcentern' als "wiederungelernt" eingestuft wird, mit der Folge nicht etwa, dass ihm eine neue Ausbildung angeboten wird, sondern dass er wie ein Hilfsarbeiter im schlechtesten Sinne herumgeschickt und zu den unsinnigsten Maßnahmen verpflichtet wird. Auch die Bürokratie, mit der durch Einführung von Bildungsgutscheinen der Zugang zu Sport und Bildung für Kinder erschwert wurde, weil die Regierung Eltern, die sie unter das Existenzminimum gedrückt hat, für unfähig hält, im Sinne ihrer Kinder mit Geld umzugehen, behindert das Lernen anstatt es zu fördern. Ebenso wenig passen die Zumutbarkeitsregeln des deutschen Sozialgesetzbuches zu dem europäischen Beschluss, in Humankapital zu investieren, und schließlich ist eine Sanktion das Gegenteil einer Investition. Doch für die 'Verbesserung' der Statistik ist die deutsche Regierung bereit alles zu tun, auf Kosten der betroffenen Menschen. Zielvorgaben quantitativer Art verleiten dazu, nur Zahlen miteinander zu vergleichen und der Frage nach der Qualität aus dem Weg zu gehen. Das Ergebnis ist eine Politik nicht für die Menschen, sondern über die Köpfe der Menschen hinweg. Auch die Subventionierung des Niedriglohnsektors mit einem dreimonatigen Eingliederungszuschuss dient nicht etwa der langfristigen Eingliederung, was im Niedriglohnbereich ohnehin nicht erstrebenswert wäre, sondern der Mitnahme des Eingliederungszuschusses durch sogenannte Arbeitgeber und der Frisierung der Arbeitslosenstatistik. Dazu sagte die Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann in einem Interview vom 6.5.2013: "Die Arbeitslosenzahlen mögen zurück gegangen sein, aber es wird vergessen, dass die Zahl der Aufstocker derzeit rund 1,3 Millionen beträgt. Das sind Erwerbstätige, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind und von dem Geld nicht leben können. Diese werden in der offiziellen Arbeitslosenstatistik in den Medien nicht erwähnt. Der prekäre Arbeitsmarkt wird unter Zwang durch die Jobcenter gefüllt und dabei auch noch subventioniert. Das heißt beispielsweise, dass jede Zeit- und Leiharbeitsfirma in den Jobcentern und den Agenturen für Arbeit einen Lohnzuschuss, den sogenannten Eingliederungszuschuss, beantragen kann. Dieser wird in der Regel für drei Monate mit rund dreißig Prozent gewährt. In der Praxis bedeutet dieses, dass über fünfzig Prozent der Zeitarbeitsfirmen die Menschen nur bis drei Monate beschäftigen, dann neue einstellen und dafür erneut Zuschuss kassieren. ... Aus diesem Grund sehe ich keine positive Veränderung der Arbeitslosenzahlen durch Hartz IV. Eher stellt dies einen Faktor zur weiteren Erpressbarkeit dar." In einem Interview vom 10.5.2013 sagte sie, das Fortentwicklungsgesetz von 2006 unterstelle den Arbeitssuchenden per se Leistungsmissbrauch. "Es ging immer weniger um den beruflichen Lebensweg und den Gesundheitszustand der Person. Wir wurden intern dazu gedrängt, zu vermitteln, egal wie und wohin. Heute werden vier von fünf Erwerbslosen an Zeitarbeitsfirmen vermittelt. Dort verdienen sie so wenig, dass sie immer abhängig vom Jobcenter bleiben." In der ARD-Sendung plusminus war schon am 13.3.2013 festgestellt worden, dass es bereits über 20 000 Leiharbeitsfirmen mit über 900 000 Leiharbeitern in Deutschland gibt. "Die Zeitarbeit hat, weil sie vielfach befristete Verträge abschließt, sehr viele Stellen zu besetzen", "Die Agenturen sind auf die Erfüllung der quantifizierten Ziele fokussiert", "Es macht für den Arbeitsvermittler keinen Unterschied ob Leiharbeit oder reguläres Beschäftigungsverhältnis. Für die Statistik zählen beide gleich. Für den Vermittler ist es leichter seine Quote zu erfüllen, wenn er einen Arbeitslosen mehrfach in Leiharbeit vermittelt, statt in eine unbefristete Stelle. Schon sieben Tage Arbeit gelten als erfolgreich vermittelt." So 'einfach' ist das mit der Erfüllung von Quoten für die Arbeitslosenstatistik, mit der sich die Regierung dann brüstet. Diese Hartz-IV-Politik ist nicht vereinbar mit den Menschenrechten, nicht mit der Europäischen Sozialcharta und nicht mit der Beschäftigungsstrategie der Europäischen Union.
2010 wurden in der Europäischen Union Ziele für 2020 formuliert, die wiederum quantitativ überprüfbar sein sollten. Ungeachtet der Tatsache, dass die Beschäftigungsquote 1997 laut Eurostat mit 60,7 % gestartet war und das Ziel von 67 % bis 2005 nicht erreicht hat, sondern erst 2008 den bisherigen Maximalwert von 65,9 % erreichte, so dass auch das 2005 gesetzte Ziel von 70 % bis 2010 längst nicht erreicht werden konnte, wurde für 2020 als Ziel formuliert, dass dann 75 % der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren in Arbeit stehen sollten. Gleichzeitig sollte die Zahl der armutsgefährdeten Personen um 20 Millionen sinken, was der deutschen Niedriglohnstrategie schonmal widerspricht, denn hier findet ein systematisches Abschieben in die Dauerarmut statt. Die "Strategie Europa 2020" brachte auch eine Neufassung der beschäftigungspolitischen Leitlinien. Dabei soll der Leitlinienbeschluss vom Oktober 2010 bis 2014 Gültigkeit haben, "damit das Hauptaugenmerk auf die Umsetzung gerichtet werden kann." Das ist bereits ein Hinweis auf die Ratlosigkeit der Union, deren Arbeitslosenquote z.B. von August 2012 bis März 2013 für die 27 Länder laut Eurostat von 10,5 auf 10,9 % gestiegen ist und für die 16 Länder des Euroraumes von 11,5 auf 12,1 % der Erwerbspersonen nach den Kriterien der ILO. Die Drucksache 267/10 mit der vorgeschlagenen Fassung der neuesten Strategie wurde hier eingefügt, damit Sie sich leicht selbst ein Bild davon machen können, ob in diesen Leitlinien eine Ähnlichkeit mit der deutschen Hartz-IV-Politik gegeben ist oder nicht, zumal es in dem Strategiepapier vielversprechend heißt: "Die Strategie Europa 2020 stützt sich auf ein kleineres Bündel von Leitlinien, das das bisherige Bündel von 24 Leitlinien ersetzt und beschäftigungspolitische Fragen und allgemeine wirtschaftspolitische Fragen auf kohärente Weise behandelt." Das will sagen, dass jetzt ein schlüssigeres Konzept vorliegt, und in der Tat war es ein ziemliches Chaos mit den bisherigen Leitlinien und Verträgen der EU. In der Leitlinie 7 des Beschlusses vom Oktober 2010 hat Hartz IV insofern auf Europa durchgeschlagen, als in einem Satz, wie ein Fremdkörper, die Rede ist von einer "Verpflichtung zur aktiven Arbeitssuche." Wie eine solche Verpflichtung aussehen könnte, wird nicht gesagt. Angesichts der Feststellung in diesem Beschluss, dass die Finanzkrise, die 2008 begann, einen beträchtlichen Verlust an Arbeitsplätzen gebracht hat sowie eine dramatische Verschlechterung der öffentlichen Finanzen, kann dieser Satz nur als Konzession an die deutsche Regierung und ihre Ideengeber bei Bertelsmann verstanden werden. Denn je weniger Arbeitsplätze und Finanzmittel zur Verfügung stehen, umso weniger sinnvoll kann der Druck auf Erwerbslose sein, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen. Das Ergebnis solcher Bemühungen kann nur frustrieren und steht damit im Widerspruch zu allen sonstigen beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU.
In dem Beschluss vom 21.10.2010 heißt es laut Amtsblatt Nr. L 308: "Im Rahmen umfassender Strategien für die Bewältigung der Wirtschaftskrise sollten die Mitgliedstaaten ehrgeizige Reformen durchführen, um die makroökonomische Stabilität, die Förderung von mehr und besseren Arbeitsplätzen und die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu sichern." Es geht also nicht um mehr schlechte Arbeitsplätze, wie sie in Deutschland staatlich subventioniert werden, vielmehr hält die Europäische Union an ihrem Ziel einer qualitativen Verbesserung fest, wobei sie die Frage der Finanzierbarkeit ausblendet und einfach tragfähige Finanzen fordert. Das ist ziemlich naiv und verdrängt die Ursache sowohl der Finanzkrise wie der Beschäftigungsprobleme. Dennoch ist es dem Rat der Europäischen Union hoch anzurechnen, wenn es z.B. weiter heißt: "Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die Vorteile des Wirtschaftswachstums allen Bürgern und allen Regionen zugute kommen, und darüber hinaus Anreize für ein beschäftigungsförderndes Wachstum, das auf menschenwürdiger Arbeit basiert, schaffen." Wie aber soll das Wirtschaftswachstum allen zugute kommen, wenn nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, das nebenbei die Unternehmen veranlasst, menschenwürdige Arbeitsplätze anzubieten, weil sonst womöglich niemand kommt? Besonderes Augenmerk soll weiterhin auf das Vorgehen gegen Armut trotz Erwerbstätigkeit gelegt werden und damit sind die von Inge Hannemann genannten 1,3 Millionen erwerbstätigen Menschen im Niedriglohnsektor gemeint, die so wenig verdienen, dass sie zusätzlich Arbeitslosengeld beantragen müssen. Anstatt jedoch gegen den wachsenden Niedriglohnbereich vorzugehen, wie es der Beschluss des europäischen Rates zur Wahrung der Menschenrechte fordert, wird der Niedriglohnsektor in Deutschland staatlich subventioniert, um die Erwerbslosen zu etwas zwingen zu können. Und alle schau'n zu.
Der Europäische Rat stellt sich allerdings selbst ein Bein, wenn er in dem Satz weiter sagt, dass "gleichzeitig an der vereinbarten Haushaltskonsolidierung festgehalten" werden soll. Das ist unglaublich! Die Mitgliedstaaten sollen sparen, nicht "um Schulden abzubauen", wie es landläufig heißt, denn das ist praktisch unmöglich, sondern um den jährlichen Zuwachs an neuen 'Schulden' zu reduzieren, und gleichzeitig sollen sie für mehr qualitative Arbeitsplätze sorgen und dafür, dass das Wirtschaftswachstum - man fragt sich welches, angesichts der Sparpolitik - allen zugute kommt. Ein solcher Spagat ist nicht machbar. Es kann also höchstens eine Gratwanderung werden, aber auch die erfolgt auf Kosten der Menschen, denen vorenthalten wird, was sie zum Leben benötigen. Durch das Bankensystem haben wir einen verkehrten Schuldbegriff. Wer Geld leiht, investiert dieses Geld. Das Inanspruchnehmen von Geld kommt deshalb immer der Wirtschaft zugute. In einem zinsfreien Geldsystem ohne Banken wäre das Inanspruchnehmen von Geld ausschließlich eine Investition und keine belastende Schuld. Wir könnten also über den Sinn von Investitionen reden, anstatt über den Abbau von Schulden. Doch in Deutschland wird beinharte Politik nach dem der Bankenwelt entliehenen 'Totenkopf-und-Knochen'-Motto "Keine Leistung ohne Gegenleistung" betrieben. Solange das beibehalten wird, kann kein Wirtschaftswachstum allen zugute kommen.
Der Europäische Rat bietet den Mitgliedstaaten großzügig an, die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds und anderen EU-Fonds für die Umsetzung der Leitlinien in Anspruch zu nehmen. Offenbar liegen da noch ungenutzte Gelder - manche lieben es, so oft wie möglich den Ausdruck "Steuergelder" zu verwenden -, doch vermutlich ist es wie mit den Bildungsgutscheinen in Deutschland, dass die Bürokratie für ihre Inanspruchnahme so hoch ist, dass sie lieber liegengelassen werden.
Die Leitlinie 10 vom Oktober 2010 steht unter dem Titel "Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut." Hier steht nicht, Anhebung der Sanktionen, um dem Staatshaushalt Geld einzusparen. Vielmehr heißt es: "Die Sozialleistungssysteme sollten zuvorderst sicherstellen, dass in Situationen des beruflichen Übergangs Einkommenssicherheit gewährleistet ist und Armut verringert wird ... Außerdem sollten die Mitgliedstaaten die Sozialwirtschaft und soziale Innovationen zur Unterstützung der Schwächsten der Gesellschaft aktiv fördern."
Eine soziale Innovation im Einklang mit den Zielen der Europäischen Union setzt die Abschaffung der Sanktionierbarkeit der Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Deutschland voraus, denn nur ohne Sanktionierbarkeit kann man von Einkommenssicherheit zumindest in der Höhe des Regelsatzes sprechen. Eine solche Einkommenssicherheit würde den derzeit ausgeschlossenen Zugang zu Bankkrediten in zumindest bescheidenem Rahmen ermöglichen, und sei es nur in Form eines Überziehungsrahmens, der mehr eigenverantwortliche Flexibilität ermöglicht. Die beste Grundlage für soziale Sicherheit bis ins Alter bietet jedoch Wohneigentum, und es ist nicht einzusehen, warum ein Staat, der Erwerbslosen die Kosten für eine menschenwürdige Unterkunft ohnehin zahlen muss, anstatt Geld für Mietkosten auszugeben, dieses Geld nicht in Wohneigentum investiert, das den Erwerbslosen übertragen und bei einem Umzug als Anrecht mitgegeben werden kann. Auf diese Art würde sich die finanzielle Belastung für den Staat bei schlechter Einkommensperspektive spätestens im Alter der Betroffenen reduzieren, wie das bei jedem Bürger der Fall ist, der in die Rate für ein Eigenheim investiert und dadurch im Alter mietfrei wohnen und seinen Kindern eine Immobilie vererben kann, anstatt das selbe Geld mit laufenden Mietzahlungen zu vergeben. Die Schaffung von Wohneigentum ist der gängigste Weg zur Bildung von Wohlstand im herrschenden Geldsystem. Dass den Erwerbslosen dieser Weg versperrt ist, weil die Eingangshürden zu hoch sind, ist ein Verstoß gegen die Chancengleichheit und trägt zur Ausgrenzung bei, die nach den Beschlüssen des Europäischen Rates abgebaut werden muss, um der vereinbarten Wahrung der Menschenrechte und sozialen Rechte näher zu kommen. Der deutsche Staat schneidet sich mit seiner kurzsichtigen Politik ins eigene Fleisch, doch die Regierung merkt es nicht, weil Obdachlose, psychisch Kranke und Tote als Folge von Hartz IV für sie keine Nachteile sind, sondern Begleiterscheinungen, die den Druck auf die Bevölkerung illustrieren und wirksamer machen. Verantwortlich für Schäden ist die Labilität der Opfer, die einfach nicht folgsam genug sind. Mit Sozialpolitik im Sinne der Menschenrechte hat die Hartz-IV-Politik nichts mehr zu tun. Ein Programm "Eigentum statt Miete auch für Erwerbslose" wäre nachhaltige Sozialpolitik im Einklang mit Art. 31 der Europäischen Sozialcharta und würde auch der folgenden Forderung in Leitlinie 10 entgegenkommen: "Die Systeme der sozialen Sicherung und der Altersvorsorge müssen so ausgebaut werden, dass eine angemessene Einkommensstützung und der Zugang zur Gesundheitsversorgung - und somit der soziale Zusammenhalt - gewährleistet ist, insbesondere für Gruppen, die am stärksten von der sozialen Ausgrenzung betroffen sind." Wer mehr über die immer größer werdende Ausgrenzung in Deutschland erfahren möchte, kann sich die Arbeit des Mainzer Vereins "Arbeit und Gesundheit in Deutschland e.V." ansehen. Dessen 1. Vorsitzender, Dr. med. Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin und "Obdachlosenarzt von Mainz", sagt: "Armut ist kein Naturereignis, sondern ist politisch gemacht." Deshalb muss die Armut schaffende Politik bekämpft und geändert werden.
Deutschland hat seinen Wohlstand nach dem Krieg nur wiedererlangt, weil es von den USA für den Wiederaufbau bedingungslos Geld ohne Rückzahlungsverpflichtung zur Verfügung gestellt bekam und die Sieger ihm die Hand zur Freundschaft gereicht haben, obwohl Deutschland den Krieg begonnen hatte und für die gewaltige Dimension der Vernichtung verantwortlich war. An dem damaligen Verhalten der USA und Frankreichs sollte sich jede deutsche Regierung ein Vorbild nehmen, anstatt in faschistoides Denken zurückzufallen und die Welt damit zu verpesten. Die Erniedrigung Deutschlands und seine Überlastung mit Reparationszahlungen durch den Friedensvertrag von Versailles nach dem 1. Weltkrieg dagegen hat nicht zu Wohlstand, sondern zum 2. Weltkrieg geführt. Ist es so schwer, aus dieser leidvollen Geschichte zu lernen?
Es ist nur eine Frage des guten Willens, die Menschenrechte tatsächlich zu schützen und das Gebot aus Art. 1 des Grundgesetzes in die Lebenswirklichkeit umzusetzen: Die Würde des Menschen "zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Die Streichung der Sanktionsparagraphen des Sozialgesetzbuches II ist dazu der erste Schritt. Das Einverständnis der Bertelsmann-Stiftung vorausgesetzt (siehe unter "Fördern und Fordern?), sollte die Regierung ihren Blick nicht länger davor verschließen, dass die Arbeitslosigkeit systembedingt ist, den Krieg gegen die Betroffenen beenden und sich auf die Wahrung der Menschenrechte besinnen. Die Strategiebeschlüsse des Europäischen Rates zur Beschäftigungspolitik können hierfür eine gute Leitlinie sein.
Letzte Änderung: 12.6.2013